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DO 14. Dezember 2017
Die innere Balance der Frei-Erfindung
SCHLIPPENBACH TRIO „Winterreise 2017“
Alexander von Schlippenbach (p), Evan Parker (ts), Paul Lytton (dr)
War die „Wintereise“ von vor einer Woche, in der Jazzinszenierung von mathias rüegg, dem schubertschen Originals verpflichtet, ist bei der „Winterreise“ des Schlippenbach Trios, dieses ausschließlich sich selbst verpflichtet. Seit einer gefühlten halben Ewigkeit tourt das Triumvirat aus „Meisterklasse“- Improvisatoren des europäischen „Jazzlabors“ alljährlich im Dezember durch weite Teile des Kontinents. Eine Glücksstunde in Sachen Improvisation aus freien Stücken, stand heuer auch wieder im Porgy & Bess an. Und es war wirklich abermals so: feinziselierte Tonschichtungen implementiert um harmonische wie rhythmische Grandezza, explizite Modulationen entlang von, in ihren Grundzügen großteils kargen, aber umso existenzieller angelegten Phantasiesträngen, eine berauschende Reise durch eine gemach wuchernde Klanggeologie fußend auf spontaner Formgebung. Luzidität, ein ganz wesentlicher Ansatz in Schlippenbachs Musikverständnis seit jeher, hat nunmehr in seinem Spiel eine neue Qualität erreicht. Der Pianist meißelte mit feinnerviger Intensivität Aussparungen und Zwischenräume aus seinen spontanen Akkordprogressionen, während derer er horizontale wie vertikale Ausdehnungen auskostete. Auch demonstrierte er eloquent, wie Agogik hinsichtlich ausdruckstarker Gliederung von Texturen wirken kann. Man kann konstatieren, dass unter dem Eindruck angewandter Entschlacktheit und dem Zutagefördern des Wesenskernes, zwei Maxime mit denen Monk und Miles einst den Jazz neu ausrichteten, dieses Gestaltungsprinzip unter Schlippenbachs Fortschreiten, mit der entsprechend entgegengebrachten Verinnerlichung, um eine eigene Fassette bereichert wird. Und in diesem „outstanding“ Trio kooperiert er mit kongenialen Befürwortern dieser Schaffensidee. In jeder Sequenz der extraordinären Interaktionskunst manifestierte sich jene elektrisierende Balance zwischen lyrischem Sinnieren und überlegtem Energieablass, die das Raum/Zeit-Gefüge dehnte, um einer pluralistischen Offenheit ohne Zwangsradikalität Nachdruck verleihen zu können. Daraus resultiert freie Improvisation, in der Jazzidiomatik verwurzelt, die Elementarteile ab der Be Bop-Zeitrechnung teils abstrahiert, teils tradiert weiterspinnt und daraus einen fast schon klassisch zu nennenden, offenherzigen Free Jazz-Duktus formuliert. Freie Modalität, tonale Bezugszentren, aus welchen nur seltenen atonalen Abweichungen hervortraten, und rhythmische Flexibilität standen im Fokus der ausgedehnten Entwicklungsbögen. Großartig wie Evan Parker beispielsweis traditionelle Chorusse, die an die großen Stilisten des Tenorsaxophones gemahnten, in seine singulären, immer präziser skizzierten, eine offene Form huldigende Splitterklangmeander integrierte, um sodann mit Schlippenbach ein Monk-Thema im unisono zu beleben. Schlagzeuger Lytton, der nun für die Wintereise den regulären Drummer Paul Lovens, ein Bruder im Geiste, substituiert, verdeutlichte am konsequentesten den Free Jazz Ansatz – in rhythmischer Hinsicht. Er richtete einen pulsierenden Flow aus, den er enorm elastisch unter Einsatz von asymmetrischer Akzentuierung, verklausulierter Beat-Bezogenheit und subtiler Impulsivität strukturierte. Eine Feier des Momentes, im Zuge derer eine magische Einheit mit einem immer weniger am Instrumenten und Tönen ein Maximum an Aussagekraft vermittelte.