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DO 04. Januar 2018
Songs For My Father
ERIKA STUCKY´S PAPITO
Erika Stucky (voc, accordion), FM Einheit (sounds), La Cetra Barockensemble
Unruhezustand ist für Erika Stucky der Lebensnerv per se. Daraus resultiert auch der immense Spannungsgehalt ihrer musikgenremäßigen Uneinordenbarkeit. Und auch sonst lebt sie Kosmopolitentum mit jeder Faser ihres Körpers. Als Kind schweizerischer Auswanderer in Amerika geboren, kehrte Stucky im Teenager-Alter mit ihrer Familie vom weiten Land in die eidgenössische geologische Enge zurück. Doch Stucky ließ sich dadurch ihr über den Tellerrand Hinaushören nicht verleiden. Nach entsprechendem Bildungsgang puzzelte sie sich, von einer Jazz-Homebase loswandernd, unter selektivem Einfangen diverser Parameter weiterer unterschiedlicher musikalischer Gestaltungsprinzipen ihr persönliches Gestirn zusammen. Und dieses erwies sich bisher als aufregend deckungsgleich mit vielen namhaften Individualisten des zeitgenössischen Musikschaffens, was Stucky ebenfalls in unzähligen Projekten unter eigenem Namen, zumeist dem Jazzidiom zugeneigt, abhandelte. Mit ihrem neuen, „Papito“ betitelten Projekt tischt die Vollblutmusikerin ihr ungewöhnlichst gestricktes Vorhaben auf. Es handelt sich um eine Liedersammlung, die ihren Vater als Person und ihr Verhältnis zu ihm thematisiert. Lieder die zumeist nach der A-B-A Form funktionieren. Realisiert im Zusammenschluss eines Barockensembles, gebildet aus fünf MusikerInnen des Spezialistenverbundes La Cetra aus Basel, und des Industrial-Schlagwerkers schlechthin, FM Einheit. „Maschinist“ der Einstürzenden Neubauten. Allerdings praktizierte Stucky mit diesem Werk keine plakative „Anything Goes“-Attitüde, sondern unterstrich mit faszinierendem Selbstverständnis und bewusstem musikalischen Gespür den Ansatz „Different Things Work“. Unmittelbar bahnte sich eine wohltemperierte, kitschbefreite Grundstimmung im Largo-Modus ihren Weg in die Gehörgänge. Das Barockensemble, in der Instrumentierung Streichquartett plus Cembalo/Portativ Orgel, verantwortete großteils das Funktionieren der äußeren Form der Songs. Schlanke Arrangements verbanden die naheliegender Weise kantablen, äußerst reduktionistischen Strukturen. Diese changierten zwischen bordunhaftem Charakter und oftmals auf die einzelnen MusikerInnen aufgeteilten Arpeggienfortschreitungen. Eine Gewandung der Musik, zuzüglich der von den MusikerInnen entgegengebrachten Empathie, die für Stucky angezeigt schien, das melancholische Naturell ihres Vaters zu reflektieren.
Wer jetzt dachte, FM Einheit hätte dieses Gefüge zum einstürzen gebracht, irrte gewaltig. Er hantierte, lediglich auf ein spartanisches Instrumentarium zugreifend (von der Decke hängende massive Spiralfedern, ein Kübel mit Kieselsteinen), das er mit Bohrmaschine und Hammer fast möchte man sagen betastete, mit außerordentlicher Sensibilität und mengte den barocken Klangqualitäten eine Gegenwartsästhetik bei. Da der Boden derart tragend aufbereitet war, konnte die Mittlerin zwischen diesen beiden Polen, Erika Stucky, nun ihren nuancierten Gesangslinien fliegen lassen. Sie tat es gleichlautend feierlich, lies aber ihre von starker Bühnenpräsenz begleiteten theatralischen Einwürfe und oftmals spontan generierten stimmlichen Extravaganzen und textlichen Ironisierungen nicht fehlen. Wiewohl sehr sparsam pointiert einflechtend. Hinzu kam noch die Virtuosität mit der Stucky ihre Gemengelage aus melodieseeligem Rocksong, gestanden Volksliedhaftem und berührender Jazzballade, auch sporadische klassische Koloraturen „spielwitzelten“ sich hinzu, unter Anwendung ihrer individuellen Melodierhythmik, im Verbund mit einer vertrackten Phrasierung, den eigenen Songs wie auch den Covers, beispielsweise von Randy Newman, Cole Porter, Irving Berlin, einen leichtfüßigen, gelassenen Groove verschaffte. „Papito“ bestach in der Geschlossenheit des Klangbildes, als ergreifend schöne und doch lustvolle Dur-Moll-Textur mit kleinportionierten, stichelnden, klanglichen Erweiterungen. Wunderbare Überraschung.