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DI 11. September 2018
Gläserne Konstruktivität – freischwebend!
GEORG GRAEWE & SONIC FICTION ORCHESTRA
Georg Graewe (p, cond), Frank Gratkowski (cl, bcl), Maria Gstättner (basson), Sebi Tramontana (tb), Sara Kowal (harp), Martin Siewert (e-g), Joanna Lewis (v), Margarethe Herbert (cello), Peter Herbert (b), Wolfgang Reisinger (dr)
Zum Auftakt seiner musikalischen Lecture, die er in der neuen Saison im Rahmen des mehrteiligen „Stage Band – Versuchslabors“ konkretisieren und ausdifferenzieren wird, pflückte Georg Graewe eine unbegleitete Klavierimprovisation von seinem opulenten musikalischen Lebensbaum. Kristallklarem Wasser gleich, ergossen sich die Tongirlanden in einem umfassenden diatonisch/chromatischen Ausmaß in nach außen verschobener Konzentration von Dissonanz und Konsonanz, in den Raum. In dieser Geste war schon eingeschrieben wie die Raumschaffung in seiner „Komprovisation“, so könnte man die Konzeption auf einen Nenner bringen, angelegt ist. In einem dynamisch divergierenden Prozess formten sich binnen kürzester Zeit Aggregatzustände von fast greifbarer Plastizität und eigengesetzlicher ästhetischer Gültigkeit. Graewe hat dem Anlass gemäß ein großformatigeres Ensemble mit einer sehr spezifischen Klangcharakteristik, durch Verwendung von Instrumenten mit unterschiedlicher Kulturgeschichte, zusammengestellt. Wie bereits angedeutet standen präzis determinierte Strukturabläufe in ausgewogenem Verhältnis zu den freigelassenen, durchs freitonale Kontinuum flanierenden Improvisationen. Hinsichtlich der ersteren schloss Graewe fintenreich Grundüberzeugungen der seriellen Musik und aleatorische Verfahren kurz. Als Bezeichnung läge einem fast die neue Begrifflichkeit „Seriatorik“ auf der Zunge. Die daraus resultierenden Klangeindrücke ließ der Pianist/Komponist jedoch nie die Oberhand gewinnen. Denn die wohlkanalisierte, zwanglos kontrollierte, jazzidiomatische Bewegungsenergie vertrat im selben Maße ihre Wertigkeit. Bravourös verantwortet vom Gespann Peter Herbert und Wolfgang Reisinger. Sie formulierten nicht in Takteinheiten sondern in rhythmischen Bögen. Mit metrischer Ungebundenheit und freilaufenden Akzentuierungen vor allem Seiten des Schlagzeugers. Ausgetragen auf dem Spielfeld eines, so gewann man den Eindruck, mehrteiligen Werkes. Mit ausgesprochener Sensorik für das Ineinandergreifen von horizontalen und vertikalen Entwicklungsabläufen schuf Graewe eine weitere Spannungsqualität, wie ebenso mit der luftdurchfluteten Konsistenz der Strukturen. Feingliedrigkeit, partiell Feinteiligkeit hoben gleichfalls den kammermusikalischen Duktus hervor. Doch diese nuanciert vielgestaltige Klangerzählung war auch kraftkämmerisch. Wenn sich z.B. harmonische Expansionen in scharfkantigen Tutti entluden, aber vor allem bei diversen solistischen Freigaben. Dabei zeigten sich alle von Graewes Erfindungsreichtum in den Bann gezogen.
Außerordentliche „Brandherde“ waren die Inselfunktionen zweier Trios. Einerseits jenes gebildet von Graewe/Peter Herbert/Reisinger, mit wirbelndem Interplay, anderseits jenes mit Siewert/Peter Herbert/Reisinger, mit entschleunigtem Rockapproach in der „Freihandelszone“. So labyrinthisch die Musik konzipiert war, was ihr Urheber nie überzeichnete, so leichtfüßig erhob sie sich „in the air“. Wie viele Versuche einer Verdrahtung von Organisationsprinzipien der europäischen Musiktradition und der Jazz Moderne wurden schon unternommen. Vieles sehr ambitioniert (einiges über..) mit schlüssigen Ansätzen – aber bei Georg Graewe ist es einOrganismus. Ein Organismus der die heute gewichtigsten Inhalte diesbezüglich in Klang setzt. Ostentativ für das Ensemble waren sicherlich die Ausgestaltung und Erschallung der Tondichtung – sie waren brillant darin.
Fußnote: Das Gesamtklangbild könnte eine dosierte lautstärketechnische Nachjustierung vertragen.
Fußnote 2: Werte Hörerschaft, ob Sonic Youth oder Sonic Elders, die Sonic Fiction hält eine außergewöhnliche Klangerfahrung bereit und harrt der Erkundung.