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MI 26. September 2018
SO! – jazzpianistisches Hochgebirge
MARTIAL SOLAL
Martial Solal (p)
Den Legendenstatus der ihm heute zurecht zugeschrieben wird, erspielte sich Solal von Beginn seiner Karriere an, mit unerschütterlicher Konsequenz in Bezug auf eine unverwechselbare Individualstilistik, fulminante Technik und eine nonkonformistische musikalische Konzeption. Solal besitzt die ungewöhnliche integrative Fähigkeit, die spieltechnische Bravour im Zusammenhang mit vitaler afroamerikanischer Rhythmustradition eines Fats Waller oder Art Tatum mit der Sperrigkeit und dem Wagemut eines sich deutlicher auf die europäische Tradition berufenden Lennie Tristano in einem eigens festgelegten Kontinuum zu kanalisieren. Das erhob ihn in den Bedeutungsstand, einer der ausnehmenden Meister des Jazz-Pianos zu sein. Damit sorgte er als junger Musiker bereits in den frühen 1950er Jahren in der Pariser Jazzgemeinde für ziemliches Aufhorchen. Weiters setzte er schon sehr früh in seiner Karriere mit seinen Trios, Big Bands und Soloprogrammen, aber auch als Jazzkomponist international vielbeachtete Ausrufungszeichen, die ihn zu einer zentralen Persönlichkeit der aufgeklärten Jazz Moderne reifen ließen. Da saß er nun der honorige, große, alte Mann (* 1927) des europäischen Jazz, sieben Jahrzehnte Jazzgeschichte verkörpernd, humorig über seinen Notizzettel sinnierend, auf dem eine Unzahl von Jazzstandards vermerkt waren, die ihm als „Zündkerzen“ für seine prallen Improvisationen dienten, vor dem Fazioli-Flügel um dessen Tasten seine verblüffend uneingeschränkte Virtuosität angedeihen, mit gediegener Anschlagkultur, dessen Klangnaturell ausschöpfend, wie es nicht allzu vielen gegeben ist, erhören zu lassen. Sich mit singulärer Phrasierung und Artikulation elegant austobend. Beileibe keine selten interpretierten Stücke des Jazzkanons, sozusagen Standard Standards, hatte sich Solal als Ausgangsmaterial zurechtgelegt. Um ein paar zu nennen: „Tea For Two“, „Caravan“, „Lover Man“, „I´ll Remeber April“, oder das Kinderlied „Frère Jacques“. Doch was dann folgte, war eine extemporierte Großtat. Kreativität und Ideenfluss überschlugen sich förmlich was die Zerlegung der Funktionsharmonik, deren Reorganisation, das „Weitersingen“ der Melodiemotive, das Reharmonisieren bzw. Ausweiten der harmonischen Gesetzmäßigkeiten jener Stücke betraf. Der Pianist gönnte unter dem Firmament der Tonalität weitreichende Freiheiten, spielte stupendest mit Temporückungen und rhythmischen Überlagerungen, mit bruchlosen Themenverknüpfungen. Gegossen in Blockakkordik, Walking-Riffs oder Einzeltoneskapaden. Beflügelnden Spielwitz mit kleinen humoresken Intermezzi setzte er noch oben drauf und ließ mit überraschenden Schlusskadenzen nach jedem Stück eine atemberaubende Restspannung wirken. Das er zudem auch die klassische Klavierliteratur mit dem Jazzidiom erquicklich umarmen kann, legte er in einer spontanen Improvisation, die in zum Hauptthema von Beethovens „Fünfter“ führte, offen. Nicht impressionistisches Rapsodieren sondern, wie generell in seinem musikalischen Habitus verwurzelt, bewegungsenergisches Swingen nährte die Ereignishaftigkeit. Alles schien ad hoc in Zusammenwirken mit flexiblem Formverständnis völlig unangestrengt aus Solal hervorzuquellen. Womit exzeptionelle Musikalität und das Wissen um umfassenden musikalischen Fundus, immer auf die Jazzquelle gestützt, dieses Maître exceptionell verbrieft sind. Noch dazu ward den Tondichtungen erheblich mehr Frische und Heutiges eigen, als so manchem Aktuellen. Martial Solal schenkte dem Porgy & Bess, das an diesem Abend das 25jährige Bestehen seines „Jazz & Music Open Houses“ zelebrierte, und einer hingerissenen Zuhörerschaft eine denkwürdige Jazz-Feierstunde. Le magnifique.