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SO 04. bis 07. November 2018
„Buchmacher“ Exzentrik
JOHN ZORN „Masada Book Three – The Book Beri´ah“
Er tat es wieder. Entgegen seiner schon vor langem getroffenen Entscheidung keine Clubs mehr zu bespielen war er nun erneut, und das doch mit einiger Freude, wie er es zum „Grand Opening“ am Sonntag jedenfalls sehr glaubhafte vermittelte, in den Schoß der „Bess“ (jetzt kann einmal das Feminine als Kurzform dienen) zurückgekehrt. Zwischen zwei Festivals. Eines zuvor in Sarajevo, ein nachfolgendes im niederländischen `s-Hertogenbosch. Das Porgy & Bess ist eben das Porgy & Bess. Das hat auch Zorn mit großem Respekt nochmals umdenken lassen. Mehr braucht dazu nicht gesagt sein. Im Gepäck Auszüge aus seinem vorläufig beendeten dritten Teil seines Masada Songzyklus: „The Book Beri´ah“. Mit sieben plus 1 Ensembles, die sich allesamt in seinem „Radical New Jewisch Culture“ – Universum umtreiben, im Schlepptau zog er los. Erläuternd zum Begriff Beri´ah: beschreibt in der Lehre der jüdischen Kabbala die zweite der dort bestehenden vier himmlischen Welten. Benannt, die „Welt der Schöpfung“. Seit Zorn sich dezidiert auf seine jüdischen Wurzeln bezieht, in genau dieser Nicht-Zugehörigkeit auf der Suche nach der Zugehörigkeit sieht Zorn, wie er sagt, die Herausforderung, rückte die Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur, speziell deren Musik, in den Fokus seiner Kompositionen. Ziemlich deutlich abermals in den Beri´ah-Songs. Klezmermelodik und - rhythmik unterschiedlichster folkloristischer Färbungen (von jiddisch über osteuropäisch bis sephardisch) versetzt mit orientalischer Harmonik bildet die DNA des Liedgutes.
Bühne frei: MC Zorn kündigte zunächst das Akustikgitarren-Duo JULIAN LAGE/ GYAN RILEY an. Ihnen schrieb er kurze eklektische Stücke auf den Leib. Atemberaubende kontrapunktische Linienführungen in engverzahnter Call & Response Manier, aberwitzige Unisonoparts, agogische Wechselbäder. Tradierte jüdische Melodien umtanzten sephardischen Flamenco, durchbrochen von einer barocken Kadenz, liebäugelten kurz mit fidelem Americana und schließlich folgte noch der energische Ausbruch aus allem. Genau kalkuliert, komplex rhythmisiert und arrangiert. Phänomenal, was sowohl instrumentale Fertigkeiten als auch das Materialverständnis betrifft, von den beiden Gitarristen zu Klang gegossen. Danach: Surprise, Surprise. Zorn gratulierte dem Porgy zum Jubiläum auf seine, die beste ART. Mit neuformiertem Quartett – Julian Lage (e-g), Shanir Blumenkranz (b), Kenny Wollesen (dr) und der Meister selbst am Alt. Das Jazzidiom, Analogien zum Masada 4tet waren gegeben, stand in diesem Kontext im Zentrum. Konkret die Hard Bop Fassette. Süffige Bassostinate sprossen nur so hervor, gepusht von polyrhythmischen Kapriolen. Über diesem vibrierenden Nährboden, verstreuten Saxophon und Gitarre R & B geprägte Themen, ausgefuchste Polyphonien und letztlich solistischen Sternenstaub, konventionell gefärbt und gleichlautend der Steilwand-Noise zugeneigt. Zum Abschluss ließ südamerikanisch Hitziges, verwoben mit Kletzmerischem und modalem Jazzhandling die Beine zappeln. Aufgetischt von CYRO BAPTISTA´S BANQUET OF THE SPIRITS. Der brasilianische Perkussionist und seine Brüder im Geiste (Wollesen, Blumenkranz und Brian Marsella-p) brachten mit ihrer Leidenschaft, die Leidenschaft in den Stücken, die gespickt waren mit ethnischen, brasilianischen Sounds und afro-brasilianischen Rhythmen, zum sieden. Marsella explodierte solistisch. Tanzmusik für intelligente Beine.
Der zweite Abend drehte sich um zwei der derzeit angesagtesten Bands des NYer Downtown-Zirkels. Zunächst vom „Planet Rock“ die siebenköpfige Equipe SECRET CHIEFS 3. Die Herren machten aus ihrem Vorhaben kein Geheimnis. Abermals die Kompositionen von Zorn mit all der gebotenen Energetik und Impulsivität in den Äther zu schleudern. Hochkomplexe, kompakte Kompositionen in deren genau definierten Spielstrategien wohldurchdacht Art Rock Sequenzen von beträchtlichem Härtegrad, vertrackte Progressiv Rock Texturen und aufgerauter Klezmermelos, gleichfalls ein Jazzherz sich fassend, eingetaucht in schwindelerregendes Tempo und metrischen Verrücktheiten, durcheinanderstieben und zu kleinen Meisterwerken verschmolzen. Die stilzitierende Achterbahnfahrt fand in dem personell noch aufgestockten Ensemble ZION80 seine Fortsetzung. Zumeist war auch hier das traditionelle jüdische Liedgut Ausgangspunkt der primär ausgeschriebenen Stücke. Ein wenig mehr intuitiver Spielraum war für die drei SaxophonistInnen und die zwei Gitarristen eingeplant. Die Ohren auf sich zog vor allem Jessica Lurie, durch die weitgefasste Emotionalität und Direktheit ihres Spiels. Ansonsten zelebrierte anhand der Vorgaben die Band ein überschäumendes, unorthodoxes, jüdisches Festritual. Brachial wie launig verspielt. Entschleunigung und fast stoische Gelassenheit regierten bei den beiden Projekten des dritten Tages. Subtilität und erhabene Schönheit, ebenso wahrhaftige Befindlichkeitsfassetten von John Zorn, erblühten aus den Stücken.
SONGS FOR PETRA umfasst eine Liedersammlung, welche Zorn für die wunderbare Sängerin Petra Haden (Tochter des Jazzbass-Giganten Charlie Haden), die auch als Geigerin aktiv ist und deren Aktionsradius sich von Extrem Hard Core, Jazzextravaganzen bis Singer-Songwriter Projekten erstreckt, maßgeschneidert hat. Diese Sammlung ist nicht Teil des Book Beri´ah sondern des Book of Angels. Die Schnörkellosigkeit und Entschlacktheit von Hadens Stimme könnte kaum besser in Szene gesetzt werden. Als Szenerie dient ein geschicktes Konglomerat aus laid back Alternative Rock Anklängen mit zartem psychedelischem Anstrich und beherzten bluesigen Einsprengsel. Haden verwandelte die Songs mit glasklarem Timbre und linearer Phrasierung in Kostbarkeiten. Dem famosen Gitarristen Julian Lage war es zugedacht die ergreifenden Songs mit dem einen oder anderen Solo zu veredeln. Der Zauber des Kunst/Pop-Liedes.
Noch tiefer unter die Haut gingen die kompositorischen Kleinode für das GNOSTIC TRIO - Carol Emanuel (harp), Kenny Wollesen (vibes), Bill Frisell (e-g, devices). Kein weiterer Kommentar. Ein Liedgut von überlegener Zurücknahme, Kontemplation und hypnotischer Kraft. Faszinierendes lag hier in den strukturellen Details, in den versteckten Ornamentierungen. Wenn etwa während eines rhapsodischen Duetts zwischen Harfe und Vibraphon (Wollesen wischte über die Klangplatten), Frisell ein erdiges Blues-Riff dazurockte oder filigrane Sound-Distortions einpflanzte. Brutstätten bildeten immer die signifikanten Arpeggienmuster der Harfe. Drei perfekte Interpreten die jene kämmerischen Klangpretiosen Zorns in einen verhohlenen „Swing“ kleideten und deren Innerlichkeit entriegelten.
Durchwachsenes, was sowohl die Piecen als auch die Interpretation betraf, bot der Abschlusstag (vielleicht genau der eine Tag zuviel). Routine, Laschheit und fehlender Zunder hatten zuviel Übergewicht. Beim SOPHIA REI & JC MAILLARD DUO war es das tranig Salbungsvolle und bei der Band KLEZMERSON, mit einem müden Drummer als Schwachstelle, die ungelenke Mariachi/Stoner Rock Mixtur in der sich die Musik verfing. Hr. Zorn ist ebensowenig unfehlbar.
Das lässt er gleichfalls mit Souveränität zu. In gleichem Maße wie seine musikalische Integrität und Sophistication über allem steht. Zorn das panstilistische Genie. Der vielleicht letzte große Musikreformator (speziell auch auf den Jazz bezogen) der letzten Dekaden. Dessen musikalischer Kenntnisreichtum aller Epochen, Stile und Herren Länder, das Book Beri´ah spiegelt erneut seine Meisterschaft des Architektonischen wieder, wandelte hinsichtlich der Texturen allerdings auf konventionelleren, gängigeren Pfaden mit tonaler Zugehörigkeit - sein typisches, erstaunliches motivisches Patchworking, diesmal nicht in der kennzeichnenden, blitzschnellen Schnitttechnik – inklusive, ihm wohl die leuchtendste Ausnahmestellung im zeitgenössischen Musikschaffen zukommen lässt. Gewusst, gelebt, gespürt wie.
Vier Tage Zorn-Soiree setzt auf globaler Club-Ebene neue Maßstäbe. Dieser Reigen stellte das Sahnehäubchen im Rahmen von „25 Jahre Porgy & Bess“ dar. Christoph Huber versteht nicht nur zu programmieren, sondern auch zu feiern. Hochachtung und Dank.