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MI 03. Juli 2019
Zerebralität im Spiegel der Körperlichkeit
GRAEWE/ KOGLMANN QUINTET
Georg Graewe (p), Franz Koglmann (flh), Michael Moore (cl, as), Robert Landfermann (b), Gerry Hemingway (dr)
Anfang Juli heißt auch Jazzfest Wien Zeit. Passt schon. Unter den diversen Örtlichkeiten die anlassbezogen daraufhin in der Stadt bespielt werden, muss sich aus Prestigegründen selbstredender Weise ebenso einer der weltweit renommiertesten Clubs befinden. Passt bestens. Der Club hebt somit die dortigen Konzerte über solche an einem Nebenschauplatz weit hinaus. Programmtechnisch wird jungen heimischen und internationalen Acts einerseits bzw. unorthodoxen Klangkunstentwürfen des zeitgenössischen Jazzkanons andererseits eine Bühne geboten. Letzteres betreffend waren heuer ganz große Meister am Formulieren. Eine Konzeptidee verantwortet in Janusköpfigkeit. Graewe und Koglmann. Unterstützt von drei kongenialen Partnern, die der beiden Werk und Visionen bis in die letzte Faser verstehen. Anregung dazu geht auch auf die Kappe von, laut Eigendefinition, „Hobby“-Produzent/ -Labelbetreiber (Handsemmel Records) und redaktionellem „Falterianer“ Klaus Nüchtern, der seit einigen Jahren mit seinen Produktionen Gast beim Jazzfest Wien ist. Stellen sich auf´s neue die Fragen, wie es denn Hrn. Nüchtern einst gelang die Festival-Macher von seinen avancierten Ideen zu überzeugen und mittlerweile diesen einen sicheren Platz im Programm verschafft zu haben bzw. davor, wieso überhaupt die Kooperation, betrachtete doch der Rezensent Nüchtern jahrelang die Programmpolitik des Jazzfestes äußerst skeptisch. Sei es wie es sei, außer Zweifel steht, dass die Projekte seither eine spannende Nuance ins Programmschema einbringen. Zum Eigentlichen: der Musik. Zwei brillante „Synthetiker“ von Materialien und Organisationsformen der abendländischen Tradition, mit Fokus auf der Moderne und der neuzeitlichen Jazzgeschichte aus der Perspektive der Free Jazz-Erfahrungen gestalteten je eine Hälfte des Abends. Ausgegebenes Motto: Reflexionen über den sogenannten Westcoast- Jazz der 1950er Jahre. „West Of The Sun“ war es überschrieben. Gemeint ist jener Ansatz, bevor dieser medial propagierte „Stil“ mehr oder weniger zur Gebrauchsmusik verkam. Wiewohl diese regionale Begrifflichkeit eigentlich nachvollziehbarer Sinnhaftigkeit entbehrt. War der Westcoast-Jazz nur eine marginal abgewandelte, vielleicht geschmeidiger ausgelegte, an der sonnigen Westküste der USA praktizierte Version des Cool Jazz. Genaugenommen zogen Graewe und Koglmann jene „coole“ Spielhaltung als Ausgangspunkt heran. Gemäß einer individuell divergierenden, transferierten Einflussnahme. Zuerst abgehandelt in einer suitenartigen Komposition von Koglmann. Themen aus seiner Feder, die die Third Stream Diktion neu denken, eines von Jimmy Giuffre bezog er mitein, deren Platzierung keiner Regelmäßigkeit folgte, verwob er zu komplexer Architektur. Immer glasklar geschichtet. Jedoch Koglmanns melancholischer Gestus ist scharfzüngiger geworden. Liebt aber immer noch die Rubato-Bewegung. Nun noch viel variabler angelegt. In den europäisch sozialisierten, melodischen Improvisationen regiert wieder deutlicher und wohl durchdacht Free Jazz-Expressivität. Die den individuellen Ton, wienerisch/slawisch gefärbt, aus Koglmanns Flügelhorn bereichernd „radikalisiert“. Der große Bogen wägt gekonnt innwendige Nachdenklichkeit gegen fassonierte Exaltiertheit ab; unverfroren dabei, die metrische Polarität. Graewe delektierte sich weit weniger konkret an der Cool-Ästhetik. Er operierte mit kurzgefassteren Klangmodellen. Abstrahiert noch strikter mit jenen Materialien. Einmalig des Pianisten Vermittlung von spontaner „Fließgeschwindigkeit“ auch in der Fortschreitung von Ausformuliertem. Bei Graewe gleichfalls kein Bruch mit Extemporiertem. Pianistisch inhaltlich abermals phänomenal.
Zur Klammer um beider Schaffen: Mit fast seismographischer Emphase, Einbindung der außerordentlichen Fähigkeiten und Eigenheiten der Mitmusiker. Bassist Landfermann markierte von Einfällen getrieben den flexiblen Puls, Moore, vor allem als Klarinettist bestechend, eine giuffre-eske Note verwandelnd, empfahl sich als optimal kontrapunktierende Stimme. Rhythmisch Exzeptionelles, einzigartige Kinästhesie pflegte Hemingway. Von ihm kam sozusagen ein virtueller Beat. Zwischen dem bewegte er sich real, ausreichend Freiheiten zugedacht, mit vertracktesten Akzenten und erzeugte eine betörende Fülligkeit des rhythmischen Erlebens anhand unerwarteter Brechungen und Auslassungen. Unbändig gefühltes swingen. Das fliegt dann. Konzeptionell keine Rollenspiele. Der Zugang war die kollektive Gemengelage. Mit ausführlich Raum für simultanes, flüchtiges Improvisieren. Tosend wie kontemplativ. Unter dem Bewusstseinsgebäude einer kohärente Vernetzung von vorgedacht Fixiertem und Momenterschaffenem. Exzeptionell wie Konstruktion und improvisatorisches Loslösen deckungsgleich werden. Weil Graewe und Koglmann außerdem meisterlich interpolieren. Hochentwickelte Struktur- und Arrangementraffinesse ihr Eigen nennen. Neben dem klanglichen Feinsinn. Zusätzlich aufregend, das Bewahren abgeklärter Distanz zur Themenvorlage.
Der Jazz bleibt den beiden als unzweifelhaft wichtigste Anregung Insigne ihrer musikalischen Eigenart. Musik die in ihrer Idiomverschmelzung von ästhetischer Schärfe und Genauigkeit zeugt. In der sich Jazz-Moderne gültig modernisiert.