Nov. 28, 2020
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

MI  25. November 2020
Blues von den Tabus
DAVID MURRAY & BLUE BRASS
David Murray (ts, bcl, voc), Paul Zauner (tb), Wolfram Derschmidt (b), Dusan Novakov (dr)

Mit 3. November hieß es für alle Kulturschaffenden und –vermittler wiederrum zurück an den Start. Neben den üblichen sozialen Kulturtechniken die wohlbekannt längstens tabu sind, bedeutete dieser Umstand erneut Konzerte ohne Publikum und somit abermals lediglich als Stream. Dahingehend auf bereits reichlich Erfahrung zurückgreifen könnend, da man bereits Anfang April dieses Jahres als erster Konzerte in Real Time! streamte, begann das Porgy-Team bereits tags darauf aufs Neue mit der live gestreamten „musikalischen Hauszustellung“. Einiges aus der vorgesehen Programmplanung, vor allem internationale Acts, musste geändert bzw. verschoben werden. Jedoch es wurde wie gewohnt fast jeden Abend leibhaft performt. Nur ab und an war ein Rückgriff auf das inzwischen relativ groß angewachsene Mitschnitte-Archiv notwendig. Im Fokus steht abermals die unermüdlich kreative, hochklassige öster-reichhaltige Gegenwarts-Jazzszene. Wahrlich fegten bisher Kollektive wie Preinfalk/Vogel/Jardim, Studio Dan, Martin Reiter & The Flow, European Residents, das Upper Austrian Jazz Orchestra von der Bühne virtuell in die Wohnzimmer. Somit kommen wir zu einer weiterhin relevanten Lichtgestalt des Planet Jazz mit Verwurzelung in dessen „Black-Line“, die es, mit allen pandemischen Geboten sich arrangierend, um nichts in der Welt unterlassen wollte, die Leere des Clubs mit lebensenergischem Spiel in Schwingung zu versetzen: David Murray. Welch gewichtige Geste. Welch Affektivität er hineinlegte. Der Saxophonist rief seine österreichische Band zusammen. Das vom Festival-/Konzertpromotor, Labelbetreiber und Posaunisten Paul Zauner initiierte und zusammengehaltene Working-Ensemble Blue Brass. Dieser singuläre Ton auf dem Tenorsaxophon. Echos aus allen Perioden der modernen Tenorsaxophon-Geschichte wehten herüber aber ebenso, und derzeit wieder umso dringlicher, wiederhallte in seinen Klangreden die soziopolitische Leidensgeschichte der Afro-Amerikaner. Anklagen eines Malcolm X oder Martin Luther King klangen durch. David Murray ist unvermindert Avantgardist im kreativen Sinne. Mit profundestem Wissen/Erfahrungsschatz und offensichtlich limitloser Technik konjungiert er die Tradition zur Avantgarde und die Avantgarde zur Tradition. Wiedergespiegelt in einem stimmigen Programm aus Murray-Klassikern, „Morning Song“, „Acoustic Octo-Funk“, „Flowers For Albert“, neuen Stücken - „Adrian“, „Nektar“ und Piecen von Butch Morris, u.a. „Spoonin´“. Gegossen in Strukturen/Formen die man als zeitfließenden, pluralistischen Jazz-Modernismus charakterisieren könnte. Definiert mit eigenständigem Gruppensound. Klarerweise bestimmt durch Murrays Klangmächtigkeit und seiner kompositorischen Meisterschaft was Kontrapunktik und Rhythmuswechsel anbelangt. Umgesetzt mit eloquentem kollektiven Bewusstsein. Solistisch überragte freilich Murray, verlor das Bandgefüge allerdings nie aus den Ohren, packte seine Partner unaufhörlich bei den Schultern. Der Bann seines Spiels wirkt wie eh und je, wenn er in den Improvisationen das Tenor von samtenen Klangwolken im tiefen Register über harmonisch ausgeklügeltes, boppiges Phrasieren bis zu einmaliger diskanter Mehrstimmigkeit durchmisst. Mit dem Griff zur Bassklarinette ist die Losung Murrays kurzfristig: Funkadelic. Permanente Überraschungsmomente kitzeln Details wie etwa Motivketten und klar geclusterten Geräuschfetzen hervor. In all dieser Ekstase ist Gospel und Blues ein Ursprung. Als ganz persönliche Geschichte. Paul Zauner, mit der Inbrunst der Überzeugung, brachte schlichte, herzenswarme Kurzgeschichten mitein, die wie Fragen an den Meister klangen. Sie blieben nicht unbeantwortet. Melodischer Feinsinn kennzeichnete ein wendiges Bass-Solo das Wolfram Derschmidt beseelt aus den Fingern floss, der zudem mit Dusan Novakov, unter dessen Extremitäten die Musik frenetisch zu swingen begann und eine flexible Tempodramatik entwickelte, zu einem austarierten Motorikkraftpacket zusammensteht. Fire Of The Hipmen.

Eine buddhistische Analogie: Es ist besser Töne in den Raum schmettern zu lassen, als über dessen Leere zu klagen. Am 9. Dezember trifft im Club David Murray auf das Stimmphänomen Chanda Rule. Vielleicht mit Publikum, ansonsten werte „Kulturverliebte“, sie wissen den Begriff wohl richtig zu deuten, ran an die elektronischen Geräte aller Art.