Sorry this part has no English translation
DO 04. Februar 2021
Dem Klang im Wort
SUSANNA RIDLER „GEOMETRIE DER SEELE – HOMMAGE A GERT JONKE“
Susanna Ridler (voice, electronics), Peter Herbert (b), Wolfgang Puschnig (as, fl)
Musik durchflutete ihn, ja obsessierte ihn förmlich. Er wissenschaftete und praktizierte sich durch die Musik – unter anderem. Neben der Hinwendung zur Philosophie, Germanistik, zu Film und Fernsehen. Mit der Sprache auch Musik machen. Das war ihm sein ihn ständig antreibendes Anliegen. Als „wörtliche Notationen“ könnte man seine Texte apostrophieren. Er baute einen Palast der Sprache in einer Landschaft der Klänge – Gert Jonke (1946 – 2009), dieser wertvolle österreichische Schriftsteller. Müsste man nicht eher sagen Sprachverströmer? Ist er das nicht zu aller erst? Angesichts der Bewegungsenergie, der syntaktischen Flexibilität seiner polyphonen Wortkonstruktionen? In Erzählungen, Romanen, Essays, Gedichten, Theaterstücken und anderem mehr musizierte er mit seinen Gedanken. Gedanken zu primär Existentiellem, mit humoresker Note. Ausgespiegelt mit den verschiedenen Konturen der musikalischen Formenlehre. Vom heimlichen Musiker, wie er sich selbst empfand. Vokalexploratorin und Komponistin Susanna Ridler, die derzeit vermutlich relevanteste österreichische Künstlerin an der Schnittstelle Literatur und Musik, untersucht seit Jahren die Konjugation zwischen ihrer Klangrede und der Sprachkunst Jonkes. Sie fand eine aufregend eigenständige Lesart in bestem Einvernehmen von Sprache und Musik, die die Musikalität des Dichters und seiner „Text-Duren“ betont. „Geometrie der Seele“ nennt die Musikerin ihr Brevier-Tribut an Gert Jonke. Akribisch selektiert aus veröffentlichten respektive unveröffentlichten Texten. Teils gesprochen von Jonke selbst. Seine Stimme ist wesentlicher Kristallisationspunkt. Sozusagen der vierte Player. Grundstock auf musikalischer Seite sind die engmaschigen Improvisations-Diskurse zwischen den MusikerInnen. Das höchst klang-/ wortmächtige Werk wurde dieser Tage als digitaler Tonträger veröffentlicht. Dessen Live-Präsentation war an diesem Abend angedacht und musste, zwar live aber den Umständen entsprechend, ins Netz flüchten. Intensität und Dringlichkeit gingen auf der Bühne deswegen nicht verlustig. Vielmehr war es ein befreiendes Ausbrechen derer. Unmittelbar stellte sich das über Jahre kultivierte, ineinandergreifende Klangspracheweben ein. Feinsinnigst hat die Komponistin die Texte bzw. Textexzerpte, welche sie aus Lesungen, Gesprächen, Interviews extrahierte, mit elektronisch generierten, an symphonischen Klangqualitäten angelehnten Gesten ausgeleuchtet. Mögen einige üppig wirken, Ridler trachtet danach der Macht der Worte ein Äquivalent hinzuzufügen. Sie handhabte ihr Material in sehr fokussierter Form, in der Korrespondenz mit ihren Partnern Initiativen setzend - deren Improvisationen betreffend. Hier nun kam die tonale Jazz-Diktion ins Spiel. Puschnig und Herbert verstreuten Überraschungsmomente, platzierten die Textfragmente analog zu deren Nonkonformität in klangliche Randbereiche. Allerdings ihre begnadete Gabe ertönt darin, zu wissen, spüren, hören wie Musik wann Musik wird. Man brauchte abermals nur ihren suggestiven Melodielinien – geradewegs oder verschlungen, ihren Intervalldistanzen, Klangsubstraten, auserlesenen Harmonieblitzen, ihrem zwingend swingenden, rhythmischen Geschick zu folgen. Puschnig und Herbert nehmen sich bzw. entrollen ausreichend Aktionsradius. Famos ließ Puschnig die Worte auf den Luftsäulen tanzen, herrlich wie Herbert diese zwischen die Saiten klemmte und mit Tieftönen Masse verlieh. Aber die Worte bohrten sich ebenso in die Klangflora, die vor allem in den puren Trio-Korrespondenzen ohne Zuspielungen einem durchdringenden Gestöber der Töne anheimfielen. Wobei den Worten die Glut femininer Anima sich einbrachte. Motivbasiertes Improvisieren, in Pendelbewegungen von Andante bis Vivace, dynamisch nuanciert, war die Prägung. Nahezu logisch liierten sich die Binnenstrukturen der Motive mit der Architektur der Sprachphrasierung. Jonke hielt einmal fest, dass der Planet dereinst zusätzlich von einer Klanghülle, Musikhülle, Musikatmosphäre umgeben sein wird. Was wäre das für eine Aussicht. Ridler/Puschnig/Herbert taten es jedenfalls eindrucksvoll mit den Texten Jonkes. Ein heimlicher und drei unheimliche MusikerInnen. Grammatik der Emotionen.