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DO 21. BIS SA 23. JANUAR 2016
Multidirektionales „Trommelfeuer“
PORTRAIT – WOLFGANG REISINGER
Im Englischen gibt es den so poetisch klingenden Begriff “Prompter”. Dies meint weit gefasst den/die Souffleur/ Souffleuse, den/die VeranlasserIn, den/die InitiatorIn. Als solcher Prompter, mit riesigen Ohren und einem außerordentlichen, verbindenden, sensitiven Gespür, setzte sich einmal mehr der famose, erfahrene Wiener Masterdrummer Wolfgang Reisinger im Zuge seines drei Tage währenden Porträts in Szene. Binnen kurzem war einem wieder bewusst, welche musikalischen und im Speziellen schlag(über)zeugende Marksteine dieser wunderbare, sympathische Musiker in der österreichischen Jazzszene in den letzten drei Dekaden gesetzt hat und diese immer wieder neu vermisst. Gleichwohl als aktiver Musiker wie auch als Pädagoge. Für dieses besagte Porträt hat Wolfgang Reisinger eine stimmige Werkschau, von langlebigen Projekten mit alten Meistern – wie etwa J.P. Céléa, Dave Liebman, Wolfgang Mitterer, Franz Hautzinger – bis zu aktuellen Kooperationen mit den jungen Chicagoer MusikerInnen und dem Georg Graewe Trio reichend, arrangiert. Jedem der Projekte haftete ein eigenwilliger Mood und eine charakteristische Klangästhetik an. Jene Eigenschaften finden sich ebenso in Reisingers unverkennbarem Personalstil, respektive in seinen musikalischen Konzepten. Geprägt sind diese von differenzierter formaler Strukturierung und überlegter Offenheit, bei gleichzeitiger flexibler Organisiertheit. Improvisation und Komposition bilden keine separaten Blöcke sondern leben ein dialektisches Verhältnis. Und was er vor allem in seinem vielschichtigen, findigen Spiel unterstreicht, ist die Ausformulierung eines zwingenden Mittels aus Weichzeichnung und schroffer Kontur im Wechselspiel von rhythmischer Periodizität und losgesagter Fließbewegung. Was ihm auch noch fremd ist, ist ein Kaprizieren auf einen bestimmten Stil. So umspannt Reisinger in seiner Musik organisch und behände Jazz, freie Improvisation, Avant-Rock und Neue Musik-Maxime zu einem luziden Klangkosmos Marke Eigenbau. Außerdem präsentierte Wolfgang Reisinger, der auch immer seine Sensoren nach jungen Talenten ausstreckt, zwei Entdeckungen. Die erste war Teil des Trios YESS ORNETTE– Reisingers nach wie vor blühende Frankreich-Connection. In Person des außergewöhnlichen jungen französischen Saxophonisten Émile Parisien. Dritter im Bunde ist der fantastische Bassist Jean-Paul Céléa. Wie der treffende Name des Trios unmissverständlich andeutet, dreht sich in dessen Musik alles um den musikalischen Nachlass des großen Ornette Coleman. Überraschend war alleine schon die Auseinandersetzung mit Colemans Musik in dieser Besetzung und die Konzentration Parisiens ausschließlich auf das Sopransaxophon. Auf diesem bestach er mit grandioser Intonation und Tonbildung, gepaart mit außergewöhnlichem Sinn für den Melos. Spannungsgeladen war die Herangehensweise an das colemansche Oeuvre. Primär tauchten die Themenentwürfe Colemans aus dichtgewobenem Interplay unverhofft auf und trieben in sowohl konkret umrissenem wie auch frei ausgebreitetem Umfeld dahin. Konzise und konzentriert ausformuliert. Diese Würdigung wurde der Coleman-Diktion der Egalität von Melodie, Harmonie und Rhythmus eindrucksvoll gerecht. Ein explodierender Auftakt. Das zweite Set des ersten Abends bestritt der „Schlagmann“ mit seinem jüngsten Projekt, dem ELASTIC CHICAGO QUARTET– Jaimie Branch (tp), Paul Giallorenzo (keys), Jason Roebke (b). Unter Einsatz minimaler Instruktionen, die sich ausschließlich auf Klangqualitäten beschränkten, traten die MusikerInnen in assoziative Kommunikation. Spontane Klangfindungsgabe und momentbezogenes Formbewusstsein waren hier gefordert. Die frei improvisierte Interaktion war beweglich und entschleunigt, aufbrausend und lyrisch und von substantieller Binnenstruktur. Dennoch geriet der lange Ereignisbogen mit Fortdauer zu langatmig und die Spannkraft hing etwas durch. Die junge Trompeterin war Entdeckung Nr. Zwei. Mit druckvollem Spiel und scharfem Ton, den sie durch das komplette Register ihres Instrumentes jagte und einer in diesen jungen Jahren erstaunlichen Souveränität im Jazzvokabular, setzte sie das eine ums andere Mal gleißende Blitzlichter. SPIRITSnennt Wolfgang Reisinger sein Work In Progress-Projekt zu dem er zur Eröffnung des zweiten Abends langjährige und neue Weggefährten zusammengetrommelt hatte. In Aktion traten John Schröder (g, keys), Franz Hautzinger (tp, devices), Karl Ritter (g) und Clemens Salesny (bcl, as). In diesem Fall war der ausgedehnte Entwicklungsverlauf von dringlicher und gewichtiger Inhaltlichkeit. Mit einer dichten kollektiven Geste vertonten die Protagonisten Reisingers lodernde Affinität zur elektrischen Periode von Miles Davis. Im zweiten Set kam einer der großen Stillisten der dem Free Jazz nachfolgenden Loft-Jazz-Bewegung ins Spiel: David LIEBMAN(ss, ts, flutes, p). Mit ihm und Jean-Paul CÉLÉA(b) unterhältREISINGER ein langlebiges Trio. Zum gegebenen Anlass endlich wieder zusammengekommen, nahmen die drei Könner den Faden sofort wieder auf und inszenierten aus dem Stehgreif ein strotzendes, aus dem Jazzkanon der letzten vier Dekaden gespeistes Klangkompendium, dem ein paar motivische Inseln eingewoben waren. Angelpunkte dieses offensiv befreiten Diskurses waren die melodischen und rhythmischen Finessen die mit einer stupenden Leichtigkeit ausgebreitet wurden. Liebmanns Vitalität und Ideenreichtum waren von zusätzlicher Brisanz. Als Nachschlag gesellte sich Èmile Parisien hinzu und man spielte eine hinreißendes Potpourri aus zwei Klassikern der Free Jazz-Literatur: Ghostsund Lonley Woman. Den Finaltag leitete das seit ca. zwei Jahren bestehende GEORG GRAEWE TRIOein. Der aus Deutschland stammende Pianist und Wahlwiener lud zwei der profundesten österreichischen Improvisatoren hinzu. Eben Wolfgang Reisinger und den begnadeten Bassisten Peter Herbert. Als verschworene Einheit formulierten sie eine weitere ergreifende Variante von Graewes Konzept einer feingezeichneten Echtzeitmusik, in die er sporadisch auftauchende Richtungsweiser integrierte. Der entscheidende Entstehungsprozess der Sonic Fictions, so bezeichnet Graewe u.a. seine Klangschöpfungen, beruhte auf sensorischer Interaktion, blitzschnellem Reaktionsvermögen und sprießender Fantasie der Protagonisten. Klangeindrücke und –qualitäten abendländischer Tonorganisationsprinzipien verschmolzen mit Formalisen des Jazzduktus auf elementare Weise. Aus den Tasten ergossen sich fließende Arpeggien und perlende Tonketten, die vom Bass mit klangmächtigen Singlenotes oder Akkorden in stoischer Genauigkeit und bestechendem perkussiven Kolorit des Schlagzeuges, in einem prinzipiell rubatierenden Zeitmaß, feinsinnig komprimiert wurden.
Schlusspunkt des fulminanten Porträts war Reisingers besetzungsmäßig rochierendes Projekt REFUSION– ein polystilistisches Konglomerat. Diesmal unter Beteiligung der MusikerInnen des Elastic Chicago Quartets zuzüglich Dave Liebman, John Schröder (g), Wolfgang Mitterer (electronics) und Raphael Preuschl (e-b). Als Reisinger erstmals Miles Davis Bitches Brewhörte, so erzählt er, war er überwältig von diesem Klangdschungel und ihm war klar, da wollte er hinein. Und so klang er aus Reisinger Sicht. Berauschende Aggregatzustände die nie kollabierten, sondern mit ausgefuchsten Nuancierungen spielten. Auf einem kochenden Fundament der beiden Bassisten aufbauend, das Reisinger inspirierend anreicherte bzw. in das er sich subtil groovend einklinkte, extemporierten die restlichen MusikerInnen voll Esprit, berstender Energie und herzhafter Lust. Das Potential reichte von noisig-trashigen Interventionen, zu an die Grenzen der Tonalität stoßenden Soli. All das kulminierte in einem brüllenden Kollektiv aus dem heraus schlussendlich eine famose Version eines Themas von Davis´ On The CornerLP leuchtete. Durchschlagende Begeisterung.