Nov. 28, 2021
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

MI 24. November 2021
Dichotomie der Einheitlichkeit
MATTHIAS SCHUBERT & SIMON NABATOV  DUO
Matthias Schubert (ts), Simon Nabatov (p)

Der mit größter “Umsicht & Verantwortung” neuerlich generell verhängte pandemiebedingte Lockdown, Dank an die politischen türkis-grünen Verfärbungen, kann aber die Verlockungen der Musik nicht hintanhalten. Das ist gut so. Und die MusikerInnen lassen sich weitestgehend nicht von diesen Widrigkeiten abhalten ihre brennende Leidenschaft weiterhin auf Bühnen zu entäußern. Und das Porgy & Bess wird nicht müde diese in die Welt hinauszustreamen. Um zu verdeutlichen was das heißen kann: Die beiden Musiker die an diesem Abend vor leerem Haus konzertierten, reisten dafür extra aus Köln an. Rufzeichen. Unvermindert waren Energie und Intensität des Schaffensprozesses. Beide Protagonisten sind seit Jahrzehnten Persönlichkeiten mit gewichtiger Stimme in der europäischen/speziell deutschen Jazz-Avantgarde. Unverständlicher Weise wird ihnen trotz höchsten künstlerischen Anspruchs seitens der Rezeption viel zu wenig Beachtung zuteil. Jedoch uneingeschränkt geschätzte Musiker unter KollegInnen. Davon zeugen die unzähligen nationalen und internationalen Kooperationen in denen Schubert und Nabatov mit MusikerInnen wie u.a. Albert Mangelsdorff, Graham Collier, Harry Pepl, Tomasz Stanko, Jeanne Lee, Gunther Hampel, Kenny Wheeler, Ray Anderson, Attila Zoller, Steve Lacy, Billy Hart und, und, und zusammentrafen. Ohne Protzerei legte Matthias Schubert offen, dass er das Tenorsaxophon in allen Registern beherrscht, jegliche jazzgeschichtliche Errungenschaft in seinem Spiel vereint, persönlich ausdeutet und in eigene Ereigniswelten klanglich, phrasierend, intonierend überträgt. Unter Einbezug perfektionierter geräuscherweiterter Spieltechniken die schnarrende Spaltklänge, fauchende Luftsäulen, oder polyphone Klangsequenzen, die z.B. „Nur das Summen einer Fliege“ implizieren, umfassen. Von hervorstechendem Ton getragen. Wie Schubert, gleiches gilt auch für Nabatov, den Jazz-Traditionsbegriff auslegt, ist dieser eben umfassend. Von Hawkins-Novitäten zu Sanders-Novitäten auf afroamerikanischer Seite, von Koller-Novitäten zu Evan Parker-Novitäten auf europäischer Seite. Eine seltenen stimmige Fusion eingehend, verdinglichen sich jene beiden Stränge bei ihm. Fußend auf freigeistiger Autorität, untermauert mit physischer Aktivität – als Steigerung der Körperlichkeit. Außerdem zündelt die generell stakkatierende Phrasierung des Saxophonisten wunderbar mit rhythmischer Impulsivität. Das spielt Nabatov perfekt in die Hände. Er, eine rhythmische Kreativnatur. Anhand bemerkenswerter Anschlagkultur, ließ der Pianist einfache rhythmische Periodizität mit komplex gebauten Polymetrien verschwimmen. Als dramaturgisch immanente Reibungen eingepflanzt. Verschwenderisch baute Nabatov darüber eine harmonische Pracht. Zwischen unorthodoxen Fortschreitungen und singbaren Konsonanzen, zerlegt in Arpeggien oder komprimierten Blockakkorden, hin und her tastend. Das wiederum spendete Input für Schuberts melodisch-klangliche, kalkulierte Loslösungen. Dem stand im sensiblen Zusammenspiel die Polarität von Massivität und Fragilität gegenüber. Auch das Spiel mit den Pausen wurde zu großer Kunst. Ausgeklügelt war gleichsam der kompositorische Anteil der Musik, fast gänzlich den Ausführenden zuzuschreiben, der allem Eindruck nach einen großen Anteil bestritt. In komplex verwinkelten Strukturen, einer gebrochenen Motorik angediehen, wurde die Ereignishaftigkeit „ausgeklappt“ und „klaviaturiert“. Eine intuitive Unbeschwertheit haftete dem Handeln der Musiker dabei ständig an. Allerdings mit demselben Impetus wurde die Musik improvisatorisch zur Reife gebracht. Es gab jedoch keinerlei Separierung zwischen beider Zugänge. Das ist der besonderen Übereinstimmung, der Empathie und menschlichen Generosität, worauf Schubert und Nabatov seit langen vertrauen können, anverdient. Als Schlusspunkt ließen sie noch mit einer herrlichen Version des Herbie Nichols Stückes „House Party starting“ verlauten, wie respektvoll und in Eigensinnigkeit Fremdmaterial gedacht/gefühlt werden kann. Bizarre Melodik/Harmonik geiferte in verschrobener Lyrik. Eine Jazz-Hingabe im Zusammentreffen mit der Sozialisierung europäischer Musiktradition erweckt im gemeinsamen Schaffen von Schubert und Nabatov ein auffallend individuelles Rhizom. In der Verantwortung einer Jazzprogressivität im Hier und Jetzt.