April 13, 2022
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

MI 06. April 2022
The Lady Sings The Life
SHEILA JORDAN/CAMERON BROWN
Sheila Jordan (voc), Cameron Brown (b)

Sie erschien auf der Bühne. Unglaubliche 93 an Alter. Strotzend vor Lebenslust. Innigst, nach wie vor, geküsst von der Muse. Mit wenigen launigen Begrüßungsworten bannte sie unmittelbar das Publikum. Sheila Jordan mit all ihrer bewundernswerten Lebendigkeit und kreativen Frische. Sie, die die Entwicklungsgeschichte der Jazz Moderne von der Geburtsstunde an miterlebt und was die Gesangsstilistik betrifft ganz entscheidend, fast ist man geneigt zu konstatieren umwälzend, mitgestaltet hat. Jordan war neben Ella Fitzgerald die erste, die im instrumentalen Sinne Chorusse improvisierte. Mit famoser Scat-Technik und einer eben auch instrumentalen Phrasierung in zumeist Achtel- und Sechzehntel-Notenwerten gestaltet sie ihre ad hoc Ornamentierungen und lässt sich auch nicht von Funktionsharmonik oder Chord Changes limitieren. Ausdruckskraft, das Verströmen von Stimmungen, spontane Emotion sind die entscheidenden Indikatoren ihrer Sangeskunst. Hinzu kommt ihre Sensitivität für die Schaffung von Raum in dem die Musik gedeihen kann, als auch das Vermögen mit Texten zu improvisieren – perfekte Vocalese. Bis heute blieb die Musikerin kompromisslos was das Ansinnen ihrer Kunst betrifft. Nach wie vor ist ihr außerhalb der MusikerInnen-Gemeinde gebührende Anerkennung nicht zuteil geworden.  Dennoch gilt Sheila Jordan als die Wegbereiterin für Jazz-Sängerinnen freier Spielformen und der Post-Moderne. Über die Jahrzehnte brachten ihr Jazzgrößen ihrer Generation und nachfolgender Generationen, beispielsweise Lennie Tristano, bei dem sie studierte über Miles, Monk, George Russell, Carla Bley, Steve Kuhn bis Jan Garbarek, mit denen fast allen sie ebenso zusammenspielte, größte Wertschätzung und Respekt entgegen. Den prägendsten Einfluss verdankt die Sängerin, wie sie nicht müde wird hörbar zu machen, Charlie Parker. Dessen melodische Imaginationskraft, die Schlüssigkeit der Ideen, die melodierhythmische Vielfalt in jeder ihrer Improvisationen auflebt. Zudem unerlässlich, die Verwurzelung im Blues. Ein weiteres Spezifikum ihres musikalischen Schaffens, auch diesbezüglich war sie Pionierin, sind Duos mit Kontrabassisten. Gepflogen hat sie solche mit Steve Swallow, Arild Andersen, Harvie Swartz. Gegenwärtig spielt sie mit dem wunderbaren Cameron Brown. Opener dieses Abends war der Song „Blackbird“, könnte man als Paul McCartneys unbewusste Hommage an Charlie Parker sehen. Daraus entwickelte sich ein anrühriger Blues, dem die gleiche Beseeltheit des „Hum Drum Blues“ folgte. Mit größtem Spielwitz gewürzt, verjüngte Jordan Broadway-Hits wie „Cheek To Cheek“ oder „I´ve Danced Tonight“.  Relevant und aus innerstem Bedürfnis durchsang bzw. erzählte sie die Jazzgeschichte. Sie breitete ihr Leben mit all den Höhen und Tiefen aus. Voll der Lustbarkeit, hinreißend entertaint. Reverenzen, anhand ausgewählter Kompositionen der Protagonisten, erwiesen Jordan und Brown Kapazundern à la Charlie Parker, Miles Davis mit einer „All Blues“-Version in  double time, Billy Strayhorn mit seinem unsterblichen „Lush Life“, Mingus mit gut sitzendem „Pork Pie Hat“, Kenny Dorham, Duke Jordan, ihr kurzzeitiger Ehemann, Max Roach und zweimal Don Cherry mit dessen Werken „ Remembrance“ und „Art Deco“, zu denen Jordan eigene Texte verfasste, und einige mehr.

Da kommt schon ausgesprochene Einfühlung ins Spiel, wenn man derart zwingend das melodische und rhythmische Regulärkonzept auf die  Essenz einzudampfen fähig ist. Jordan nahm die Melodiefolgen auseinander, improvisierte sie zu aufregend neuen Kontrafakturen. Große Elastizität, klanglich wie rhythmisch, in ihrem signifikant kantigen Timbre anwendend. Erstaunlich die immer noch präsente Kontrolle über die Stimme. Mühelos ließ Jordan ihre Vokalismen vom Alt in den Diskant springen. Leidenschaftlichst, ihre Hingabe an den Augenblick. Gleichermaßen auf großes Intuitionsvermögen gestützt, finalisierte Brown die rhythmische Ausgestaltung. Das waren hier entschlackte, forcierende Walking-Lines, dort unwiderstehliche Ostinate in sparsamer Gestik. Das Melos tanzte ebenso auf seinen Saiten. Darauf gründet sich die stupende Symbiose aus der instrumentalen Stimme und dem singenden Instrument. Das Stück „Let´s Face The Music And Dance“ bot dann noch ein „scatkunstiges“ Zwiegespräch von Sheila Jordan mit einer einstigen Schülerin, der österreichischen Musikerin/Vokalistin Heidi Krenn.

Das war eine Jazz-Soiree in „High Definition“ einer der letzten lebenden, großen Persönlichkeiten der Bebop-Ära, die aus dieser heraus einen zeitbezogen relevanten Neo-Bop schuf. „Keep Singing, Keep Playing“ gab Sheila Jordan dem Publikum mit auf den Weg. Ihrer Verfassung und Energie gemäß, wird sie das noch länger praktizieren.