Sept. 19, 2022
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DO 15. September 2022
Labyrinth der Repetition
ARUÁN ORTIZ TRIO
Aruán Ortiz (p), Brad Jones (b), John Betsch (dr)

Piano-Trios, im Verbund mit Bass und Schlagzeug, haben sich im Laufe der Jazzägide, speziell ab der Evolution des Bebop, in der Rezeptionskultur den Status einer „Königsdisziplin“ erspielt. Als repräsentativ ist dieser Fakt, der für MusikerInnen von vorn herein irrelevant ist, nicht zu werten. Wiewohl eine Vielzahl an PianistInnen von Anbeginn der Jazzhistorie in Platteneinspielungen dieser Besetzung huldigten, gab es bis in die 1970er Jahre nur vereinzelt beständige, dieses Format weiterentwickelnde Gruppierungen. Zu den bestimmenden zählten die Trios von Oscar Peterson und, in besonders innovativer Weise, Bill Evans. Folglich nahm auch das Paul Bley Trio hinsichtlich inhaltlicher und struktureller Neuerungen eine maßgebliche Position ein. Anfang der 1980er Jahre löste dann der damalige Jazz-Piano „Superstar“ Keith Jarrett mit der Gründung seines sogenannten „Standards Trios“  einen beträchtlichen, bis heute währenden Piano Trio-Boom aus. Es ließen sich dahingehend grob folgende Zuschreibungen vornehmen: Da wären einmal die ProtagonistInnen die mit einem relativ enggefassten Traditionsbegriff einen aufgeschlossenen Nu-Bop pflegen, dann jene die impressionistisch getönte, einen Post-Romantizismus miteinbeziehende aber auch von weitgefasster Harmonik und flexibler, manchmal nur angedeuteter Rhythmik inspirierte Klangwelten erschaffen. Drittens bereichern Trios das Geschehen, für die rock- und popmusikalische Formalismen, gegliedert mit komplex verschachtelten rhythmischen und metrischen Strukturen, die Eckpfeiler markieren.

Dass hier noch genug Spielraum für weitere konzeptionelle Anderswelten, die speziellen Piano-Trio Neuerungen reflektierend, gegeben ist,  beweist der afro-kubanische in New York residierende Pianist Aruán Ortiz. In seinem Klangkontinuum schwirrt Elementares aus der kubanischen Musiktradition, der klassischen Avantgarde, sonstiger lateinamerikanischer Musikethnien und der Jazz Moderne umher. Ortiz mischt daraus ein höchst persönliches Konzentrat. Indem er Ursprungsszenarien zerlegt, umdeutet, abstrahiert und mit den anderen Stileigenarten in Beziehung setzt. Das folgt einem tiefen Verständnis, großem Respekt für Musik generell und einem wahrhaftigen Musikerfinden im Speziellen. Virtuosität von hochemotionalem Antlitz. Sein aktuelles Trio schafft in seinem Laisser-faire Verständnis für die nötige Kreativität außerordentlichen Phantasiefluss und Freiraum. Kontemplative Bewegungsmuster säumten die ersten Minuten. Rhapsodische Melodieentwicklungen, kommentiert von punktuellen, perkussiven Aktionen rannen ineinander. Im weiteren Verlauf der beiden kontinuierlichen Ereignisbögen tauschten sich Ortiz und Bassist Jones ständig mit der Melodieentwicklung ab. Famose kontrapunktische Verzahnungen, Spiegelungen gingen voran. Horizontale Progressionen, ohne thematische Bündelungen, gehörten zu den Hauptindikatoren des Schaffensprozesses. Harmonisch nuancenreich verfeinert. Unvorhergesehen zog Ortiz diese Faktoren immer aufs Neue zu repetitiven Figuren zusammen. Das zweite prägende Charakteristikum dieser Trio-Musik. Präzise ausgespielt, variabel schattiert. Darauf und dem Wechselspiel mit dem exzellenten Brad Jones, zwischen Ostinati und Walking Bass variierend – mit körperlichem Ton, fußte die Rhythmisierung der Musik. Von hypnotischer Wirkkraft, was eine Verbindung zur afrikanischen Yoruba- Tradition ziehen lässt. Wo blieb hier nun der Beitrag des Schlagzeugers. Ortiz hat eine afroamerikanische Schlagzeugkoryphäe eingeladen: John Betsch. Bekannt für besondere Sensibilität im Interplay und melodisches Gespür. Betsch verfolgte kein periodisches Timekeeping, sondern fächerte die Zeitstrukturen auf. Anhand von kleinteiligen Pattern oder nur mit Sounds. Er umspielte die Repetitionen von Klavier und Bass mit kolorierendem Feinsinn. Drive ständig in der Hinterhand, forciert durch fortwährende Tempowechsel. Auch wusste er seine Konzentration auf Pausen zu verlagern. Betschs punktueller Spielentwurf intensivierte das Spannungsfeld maßgeblich. Bescherte seinen Partnern obendrein zusätzliche Bewegungsfreiheit. Und alle drei sind sich gewahr, dass Selbstentäußerung und Selbstfindung einer aufladenden Phase der Ereignislosigkeit bedürfen.

Auffallend zudem, dass in diesem Trio die Rollenaufteilung Begleitende-Solierende der Bedeutung enthoben ist. Vollbracht wurde interaktive Musik par excellence. Zwei „Suiten“, tonal verstrebt, rhythmisch von fraktaler Architektur, die einen Staunen machten. Angesichts  Reformkraft respektive –willen die Aruán Ortiz bezüglich des Formats Piano-Trio anstrebt, kann ohne weiteres angedacht werden, dass er sich hiermit in die Reihe erwähnter Innovatoren eingliedern wird.