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DI 22. November 2022
Hartgesottenes Improvisations-Paradigma
OM 50 - „Electroacousticore“
Urs Leimgruber (ss), Christy Doran (e-g, devices), Bobby Burri (b, devices), Gerry Hemingway (dr, perc)
Es hätte eine musikalisch rauschende Feier werden sollen die Jubiläums-Tournee 2022. Jedoch ein tragisches Ereignis überschattet das Unterfangen. Vor Tourstart verstarb OM-Schlagzeuger Fredy Studer – die präzise rhythmische „Unruhe“ der Band. In dessen Sinne respektive dem Bedürfnis der restlichen Bandmitglieder entsprechend, wurde die Tour somit gespielt. Hierfür nahm der Wahlschweizer Gerry Hemingway für Studer auf dem Drumhocker Platz. Ein ebensolch rhythmischer Krösus.
Kurze Retrospektive: 1972 fanden sich vier junge, hochbegabte Schweizer Musiker unter dem Namen OM zusammen. Sie beschritten einen „Umweg“ entgegen der damals etablierten Fusionierungsweisen von Jazzsignet und Rockjargon. Mit einer Gabe für Klang, eben auch in seiner unorthodoxen Konfiguration (mit ausgiebiger Geräuschtendenz), sowie selbiges für instrumententechnische Erweiterungen, speisten sie ihre Schmelze jener beiden Spielhaltungen. Wobei sie keine zu explizite stilistische Fixierung verfolgten. Hinzu kam noch eine bei weitem offenere harmonische und rhythmische Auffassung. Und Angepasstheit in irgend eine Richtung stand sowieso nie zur Debatte. Nannten OM doch dereinst ein Stück
„Eigentlich wollte Johann auf dem Mond den anderen Jazz kennenlernen“. Johann musste alsdann die Mühsal einer solchen Reise nicht auf sich nehmen und konnte in irdischen Gefilden einen „anderen“ Jazz erleben. Wie diesen beispielsweise OM, zuerst kantonal dann global, konsequent weitertrieben, im Spannungsfeld von „Jazznähe“ und „Jazzferne“. Das bedeutete Aneignung freier Atonalität, Tranchieren von jazz-, rockformalen Spezifika, eine dynamische Strukturalität, was die europäische Musiktraditionsverwurzelung andeutete. Im Bestreben von hellwachen „Stil-Dissidenten“ schuf sich das Quartett ein komplexes Musikorganisationssystem hohen Abstraktionsgrades, in welchem konventionsbefreite Klangästhetik die Wertigkeit definierte. Aber trotzdem nicht dogmatisch erstarrte. Bis heute ausgesprochen detailliert verfeinert und einem stochastischen Prinzip noch deutlicher anverwandt. Zunächst bemerkenswert wie Hemingway das gewachsene OM-sche Klanggestirn mit seinem Spontanduktus auszufüllen in der Lage war und diesem eine differente rhythmische, soundperkussive Nuance einschrieb. Er swingte subkutan, unternahm verwegene Zeitschritte, ließ den Beat, wenn, dann „On the Edge“ rocken, oftmals nur angedeutet, trocken. Ansonst forcierte Hemingway, koinzident mit seinen Partner, ausdifferenzierte Dynamikaggregate. Seinen Aktionsradius betreffend, von pulsierender kinetischer Energie. Durchsetzt mit irrwitzigen Aussparungen. Bobby Burri fügte dem eine reduziert effiziente Vertikalität hinzu - subtil elektronisch manipuliert, da und dort. Intelligent kontrapunktierend. Bizarr, diskonform, kreativst ausgeweitet deklarierte sich das Soundkonvolut von Leimgruber und Doran. Der Saxophonist trieb teils Spalt- und Splitterklänge noch extremer in die Mikrotonalität, spitzte Multiphonics regelrecht zu. Hinzu bestückte er sein Sopransaxophon, dem er sich seit geraumer Zeit ausschließlich widmet, ebenso mit einem Dämpfer. Schönheit der Radikalität, mikroskopisch seziert. Auch Doran zog jazz-/rockimmanenten Formalismen und Klängen die Außenhaut ab, drang in deren inneres Gefüge vor, grub nach deren Geräuschpotential, evozierte polyphone Reibungswiderstände. Das besondere Prädikat: kollektive Geschlossenheit, ineinandergreifend musiziert – signifikant, von poetischer Räudigkeit bis forscher Bestimmtheit. Ein intensiver, ausspiegelnder Abriss über das Wesen improvisierter Musik europäischen Ansatzes, mit prallen Jetztbestrebungen gefüttert. Bedauerlicher Weise dürfte dies das letzte Kapitel in der OM-Historie gewesen sein, für das in einer Sequenz via Videoeinspielung eines Solostückes von Fredy Studer, vom lebenden Quartett nochmals emphatisch mit dessen hier festgehaltenem Klangnachlass kommuniziert wurde. Fredy Studer und OM haben jedoch unumwunden der europäischen Jazzgeschichte des vergangenen halben Jahrhunderts einen wesentlichen Absatz hinzugefügt.