May 1, 2016
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

SA 30. APRIL 2016
Die Kunst des Weglassens
CHRISTIAN MUTHSPIEL & STEVE SWALLOW
Christian Muthspiel (tb, p, e-p), Steve Swallow (e-b)

JACKY TERRASSON TRIO
Jacky Terrasson (p), Thomas Bramerie (b), Leon Parker (dr)

Den UNESCO International Jazz Day, 2011 unter der Schirmherrschaft von keinem Geringeren als Herbie Hancock - in seiner Funktion als UNESCO-Botschafter für interkulturellen Dialog - ins Leben gerufen, feierte man hierzulande heuer mit einem umfangreichen Ö1-Jazztag. Unter der profunden Federführung des neuen Leiters der Ö1-Jazzabteilung und ausgewiesenen Jazzkenners Andreas Felber, widmete sich der Kultursender (der einzige wirklich, öffentlich rechtlich qualitative in diesem Lande) den ganzen Tag über in diversen Sendeformaten in unterschiedlichsten Zugangsweisen dem Jazz. Einer Musik, der Purismus, „Klangxenophobie“, nationalistisch kleingeistiges „Grenzzaunmanagment“ gänzlich fremd ist. Einer Musik also, die mondial blüht, von hybridem Streben geprägt ist und für die Musikgeschichte mit Beginn des 20. Jahrhunderts als Visionsinitiative, Impulsgeber und Weiterdenker, neben der Dodekaphonie von singulärer Bedeutung ist. Der amerikanische Jazzjournalist Kevin Whitehead schrieb in seiner wunderbaren Liebeserklärung an den Jazz („Warum Jazz? 111 gute Gründe): „Jazz ist eine Universum für sich selbst…Jazz kann von Noblesse, von Lust, von Humor gekennzeichnet sein und ebenso das Gehirn in Schwung bringen wie die Füße…Jazz ist faszinierend, da er die Erfindungsgabe eines Musikers auf die Probe stellt und ein Teilgebiet der afroamerikanischen Kultur ist, das Menschen auf der ganzen Welt anspricht. Das wäre aber nicht von so großer Bedeutung, wenn diese Musik nicht auch so gut klingen würde“.

Welch wahre Worte das sind, unterstrichen die beiden Konzerte an diesem Abend, die Andreas Felber gemeinsam mit Clubchef Christoph Huber aushirnte und die in der Sendereihe „On Stage“ live aus dem Porgy übertragen wurden. Ein stimmiges Ganzes und schlussendlich magischer Abend. Wieso?

Der begnadete Multiinstrumentalist Christian Muthspiel und der Bass-Gigant und E-Bass Erneuerer Steve Swallow verklangbildlichtenihr Programm „Simple Songs“. In knisternder Unaufgeregtheit und tonsetzerischer Überlegenheit erkundeten die beiden die emotionale Wirkung der Einfachheit in der Melodie und der Liedform. Sie verstanden sich blindlings  und jonglierten in ihren Dialogen mit großer Behändig- und Beweglichkeit mit dem konkreten Material. Aus den melodischen Linien und den akkordischen „Dramoletten“ lösten die Musiker behutsam ihre innigen, sinnesrauschigen Improvisationen. Thematisch schwadronierten die Songs durch Klangtopographien wie bluesgetränkter Soulfulness, so in einer Adaption von Miles berühmtem „All Blues“, einem irrwitzigen Walzer furioso, einem alpenländisch ethnischen-impressionistisch-neo-boppisch groovenden Patchwork oder einer ergreifenden Paraphrase über das Schubertlied „Mein!“. Zudem wurde vorgeführt, wie Schönklang eine Bedeutungsschwere angediehen lassen werden kann, ohne in die Harmoniesüchtigkeitsfalle zu tappen. Kontrastierend saß noch ein pirchnerscher Schalk in Muthspiels Nacken. Es war viel Mut im Spiel und schwalbenhaft motorische Virtuosität. Einfach gut. Die nachfolgende Performance des Terrasson Trios setzte dem Abend dann die Krone auf. Willkommen war hier im Besonderen auch die Wiederbegegnung mit dem lange abwesenden Ausnahmedrummer Leon Parker. Terrasson, dieser phänomenale, umfassend gebildete Pianist, hat die Kunst der Dekonstruktion/Neuordnung bzw. Revitalisierung von Fremdkomposition aus dem Jazz- und Popularmusikkanon zu höchster Reife gebracht. Mit Respekt und verehrendem Verständnis. Das expansiv interagierende Trio zelebrierte eine rauschende Feier des Melos und der Intuition. Durchstreift wurde das gesamte tonale Spektrum mit immer wieder überraschenden Ausweitungen der Funktionsharmonik bzw. metrischen wie rhythmischen Kapriolen. Letzteren huldigte vornehmlich Parker in famoser Weise. Welch klangliche und qualitative Buntheit er auf seinem spartanischen Set aus vier Trommeln und einem Becken, eine Hi-Hat hatte er zudem ausgespart, ausgoss, dass grenzte schon an Zauberei. Bravourös und sinnerfüllt nahm der Pianist das Material auseinander, filterte es wohldosiert durch diverse Stilistiken, von Bill Evans über Jarrett bis Taylor, und überführte es in seinen zutiefst eigenständigen Klangkosmos. Da fielen z.B. „Smoke Gets In Your Eyes“, „Smile“, Michael Jacksons „Beat It“, „Caravan“ oder Herbie Hancocks „Chameleon“ mit dem krachenden Bass-Vamp, in einen irisierenden Jungbrunnen. Stupend auch das umspannende Agieren des Bassisten. Beide Ensembles holten mit ausgesprochener Gegenwartsverankerung die Essenz der Musik an die Oberfläche - was einer Prämisse folgte: Klangkunst ist die Kunst des richtigen Weglassens. Schädeldecke hebend. Therefore Jazz.