Lakecia Benjamin 'Phoenix' (USA)
Lakecia Benjamin: alto saxophone
Zaccai Curtis: piano
Ivan Taylor: bass
EJ Strickland: drums
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Geläufigkeit ist nicht alles, aber ohne Geläufigkeit ist alles nichts – zumindest im Rahmen gewisser Musikstile. Gemeint ist nicht ausschließlich die Wendigkeit der zehn Menschententakel. Auch die Reaktionsfähigkeit der Hirnwindungen muss – zumal im Jazz – mit der manuellen Befähigung verschmelzen, um den Sprint in Tönen mit Sinn zu erfüllen. Ansonsten wirkt Geläufigkeit leer und gedankenfrei.
Nehmen wir zum Beispiel das Stück Giant Steps: Auf dem gleichnamigen Album von 1960 raste der große Innovator und Saxofonist John Coltrane in seiner Komposition durch eine Harmonielandschaft, die halbtaktige Akkordwechsel forderte. Elegant war es und voller Sinn, was Coltrane da improvisierte.
Und elegant wirkt es, um zu unserer Künstlerin zu kommen, wenn sich US-Altsaxofonistin Lakecia Benjamin – nicht nur bei dieser das Musikhirn fordernden Edelkomposition – auf Spuren Meister Coltranes und dessen Frau Alice begibt. Die in New York geborene Benjamin (Jahrgang 1986) hat sich gründlich in die Materie vertieft, das Ergebnis war Pursuance: The Coltarnes. Das fulminante Statement, das sich auch mit den künstlerischen Ideen von Alice Coltrane (der Frau des Saxofonisten) befasste, katapultierte Benjamin in die erste Liga der Instrumentalistinnen. Darin schafft es die Altsaxofonistin, virtuos und expressiv in den Coltrane-Kosmos hineinzukippen und so die nötige produktive Nervosität herzustellen.
Es brachte ihr Respekt im Kernbereich des Jazz ein, wobei Benjamin zuvor eher dem Funk und Soul huldigte. Sie stand mit Stevie Wonder auf der Bühne, absolvierte Tourneen mit Missy Elliot und Alicia Keys. Klar: In ihrem Stil waren lange Spuren des druckvollen Spiels von Funksaxofonist Maceo Parker zu finden, die auch in ihrer Band Soulsquad zu entdecken waren.
Aktuell setzt Benjamin auf einen Mix aus spiritueller Musikentrückung auf modaler Basis, postboppigen Themen und der Dringlichkeit politischen Engagements. Auf ihrem neuesten Album Phoenix beginnt der Opener Amerikkan Skin mit dem Sirenensound eines Polizeiwagens, während Angela Davis, seit den 1970ern eine Symbolfigur der Black-Power-Bewegung, rezitiert. Die revolutionäre Hoffnung würde gerade bei Frauen liegen, "die von der Geschichte im Stich gelassen wurden", ist da zu hören, während sich ein aufgewühltes Schlagzeug mit einer elegischen Melodie im Sinne eines doppelbödigen Ausdrucks vereint.
Benjamin kann aber auch sanfte Balladen wie Rebirth, die stilistisch retrospektiv wirken. Benjamin leugnet also nicht nur keinesfalls, dass sie auf Schultern von Vorbildern unterwegs ist. Sie integriert sie auch respektvoll. Auf dem Stück Supernova hört man den kürzlich verstorbenen Saxofonisten Wayne Shorter philosophieren.
Und natürlich fehlt nicht ein Verweis auf Coltrane (das Stück Trane), während in Basquiat komplexe Abstraktion aufleuchtet. In Summe eine dichte Angelegenheit, aus der trotz historischer Bezüge Individualität herausstrahlt. So ist die Amerikanerin, auf dem Cover wie eine afrofuturistische Schwester des Jazzutopisten Sun Ra gekleidet, neben der Britin Nubya Garcia ein Hoffnungsschimmer für das Genre.
Benjamin, die man schon im Porgy & Bess und im Konzerthaus hören konnte, hat allerdings, was jedwede Geläufigkeit anbelangt, der Kollegin doch noch einiges voraus. (Ljubiša Tošic, 17.3.2023)