Mi 11. September 2024
20:30

Kassa Overall 'Animals' (USA)

Kassa Overall: drums, lead vocals
Tomoki Sanders: tenor saxophone, vocals
Matt Wong: piano
Bendji Allonce: percussion, vocals

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Kassa Overall ist einer der wenigen Jazzer, die auch Hip Hop können

Der afroamerikanische Musiker Kassa Overall zweifelt an den Bedingungen des Pop-Biz von Heute: er fühlt sich wie ein Tier. Wie das klingt? "Animals" ist künstlerischer Protest und feierliches Statement in einem: Jazz, Hip Hop & Electronica.

Es ist alles ganz langsam gewachsen bei ihm: Er kam aus Seattle, zog nach New York und war mit Rapper Macklemore in einer Musikklasse. Kassa Overall wohnte zwei Jahre lang beim Vater vom wohl wichtigsten afroamerikanischen Filmemacher der Gegenwart, Spike Lee. Inzwischen arbeitete er auch mit Avantgarde-KünstlerInnen wie Yoko Ono und Marc Ribot. Es könnte alles laufen für den Grammy-nominierten, afroamerikanischen Drummer, Sänger und Rapper. Könnte.

Im Zündfunk Interview mit Kollegin Judith Schnaubelt aber klagt Kassa, man müsse so viel tun, um als Künstler erfolgreich zu sein, geschweige denn gut davon leben zu können. Man müsse "sich selbst verkaufen, sich selbst bewerben und eine öffentliche Rolle im Internet spielen und all diese verschiedenen Dinge. Um das Bild zu erklären: ich fing an, mich wie ein Zootier zu fühlen. Oder ein Zirkustier. Die Leute kommen, um dich zu sehen, und sie wollen, dass du wild bist, damit sie unterhalten werden können. Aber gleichzeitig darf man nicht zu wild sein, denn wenn man zu wild ist, ist es gefährlich. Du musst also genau so perfekt sein, damit die verschiedenen Elemente richtig funktionieren können."

Aus diesen Zweifeln entstand der Album-Titel "Animals". Drei Jahre hat er dafür gebraucht. Nach der Platte ist vor der Platte: schon 2020, als er sein letztes Werk "I Think I'm Good" rausbrachte, sagte man ihm, dass er sofort ein neues Album nachliefern müsse. Sonst würde ihn die Pandemie einfach verschlucken. "Schaff ich locker", dachte er sich. Es sollten drei Jahre werden.

Die Dinge brauchen Zeit. Kassa Overall erzählt uns: "Ich dachte, ich bräuchte sechs Monate, aber es hat eine ganze Menge Zeit gedauert. Und das lag zum Teil daran, dass sich die Welt veränderte. Alle paar Wochen war die Welt eine andere. Und ich wollte nichts machen, was alt werden würde. Alles, was auf dem Album war, musste etwas sein, das zeitlos sein konnte."

Kassa Overall versucht also möglichst zeitlose Musik abzuliefern. Was ihm auch gelingt: "Animals" ist sein drittes Album und sein erstes für das renommierte Warp-Label aus England. Warp bat ihn, ein paar Beats für die neue Platte von ihrem Rapper Danny Brown zu basteln. So entstand der Kontakt, nun ist er dort gelandet. Er findet es den richtigen Hafen, denn Warp ist Heimat von Musikern wie Aphex Twin, Flying Lotus oder Squarepusher – deren Beats und Sounds auch eher komplex und bisweilen jazzy daherkommen. Sie aber arbeiten instrumental, bei ihm gibt es Texte.

"Das letzte Album befasste sich auch mit meinen inneren Dingen", erzählt uns Kassa. "Aber es war sehr persönlich. Und dieses Album befasst sich mit den Fragen der inneren Realitäten, aber eher für alle, als nur für mich. Ich glaube, in den letzten Jahren habe ich erkannt, dass jeder Mensch sehr tiefe innere Kämpfe und Dialoge hat. Jeder hat diese Art von Fragen, die man sich stellt, wenn man alleine ist und nachts schläft, weißt du? Und so ist das hier eher eine Art 'universelles Tagebuch für alle.'"

Für Kassa hat indes ein neues Kapitel begonnen: er ist von New York nach Seattle zurückgezogen. Aber vermutlich dürfte er dank der Platte ohnehin nicht viel daheim sein. Trifft sein "universelles Tagebuch" doch einen Nerv - und schließt eine Lücke: die zwischen Jazz, HipHop und avantgardistischer, elektronischer Musik. "Animals" ist künstlerischer Hilferuf und feierliches Statement in einem. Wie schwärmt sein Entdecker, BBC-Radio-Legende Gilles Peterson: Kassa ist einer der wenigen Jazzer, der auch HipHop gut hinbekommt. Und stellt ihn schon in eine Reihe mit den Roots oder A Tribe Called Quest. (Ralf Summer und Judith Schnaubelt)