Di 20. Mai 2025
20:30

Mette Rasmussen 'ØKSE' (DK/N/USA/S)

Mette Rasmussen: alto saxophone
Savannah Harris: drums
Petter Eldh: bass
Val Jeanty: sounds

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Dass die spannendste Musik aus dem Bereich Jazz und Freie Improvisation seit geraumer Zeit aus Skandinavien kommt, ist in diesem Blatt schon das ein oder andere Mal angemerkt worden. Sieht man sich das Programm des bereits Mitte August über die Bühnen gehenden Jazzfestivals Saalfelden an, dann scheint es diese Auffassung zu bestätigen: Nicht weniger als acht Acts kommen aus dem Norden Europas, dort, wo die lustigen Vokale wohnen.

Økse zum Beispiel. Økse ist Dänisch, bedeutet so viel wie "Axt", und beim Versuch des Falter-Jazzsachverständigen, es auszusprechen, kriegt Mette Rasmussen einen Lachanfall. Für österreichische Ohren klingt es jedenfalls wie "Ükse". Rasmussen stammt aus dem dänischen Århus, lebt aber im norwegischen Trondheim, einem Ort mit einer vitalen Musikszene. Das 15-köpfige Trondheim Jazzorchestra, dem Rasmussen angehört und das wie kaum ein vergleichbares Ensemble die Expressivität des Free Jazz in tanzbare Energetik umzusetzen weiß, wird in Saalfelden ebenso zu hören sein wie das Supersonic Orchestra des Drummers Gard Nilssen. Letzteres wird heuer vermutlich den größten Krawall im Pinzgau entfesseln: Neben drei Schlagzeugen und drei Bässen zählen auch sieben Saxofone zur ungewöhnlich massiven Besetzung. Eines davon wird Mette Rasmussen zum Glühen bringen.

"Abgesehen davon, dass es eine überwältigende Erfahrung ist, mit all diesen Leuten auf der Bühne zu stehen, stärkt es auch den Gemeinschaftssinn: Es ist eine Feier, ein kollektives Frohlocken!", meint Rasmussen, die auch schon im Fire! Orchestra des Wahlnickelsdorfers und Rohrblattkaputtbläsers Mats Gustafsson Sax-Dienste versehen hat.

Von den drei Auftritten, die sie in Saalfelden an zwei Tagen absolviert, ist jener mit Økse aber Rasmussens persönlichster. Es ist ein Auftragswerk von Saalfelden und eine Weltpremiere, entstanden aus der Begegnung mit der US-Schlagzeugerin Savannah Harris in New York, bei der der Funken sofort übersprang. Zum Quartett ergänzt werden die beiden durch den umtriebigen schwedischen Bassisten Petter Eldh und die als "SoundChemist" geführte haitianische Elektronik-Musikerin Val Jeanty. "Sie hat die Musik noch einmal auf ein ganz anderes Level gehoben", schwärmt Rasmussen, die am Tag nach dem Live-Auftritt mit Økse auch gleich das erste Studio-Album in Saalfelden einspielen wird.

Die auf einem Bauernhof aufgewachsene Rasmussen hat, wie so viele Musiker, ursprünglich mit Klavier begonnen, war dann aber spontan von der Eingebung befallen worden, dass sie fürs Saxofon bestimmt sei: "Ohne meinen Eltern etwas davon zu sagen, habe ich die Musikschule der nächstgelegenen Stadt angerufen. Sie haben mir ein Saxofon zur Verfügung gestellt und einen Lehrer zugeteilt. Ich war vielleicht elf Jahre alt."

Die erste Platte, die sie sich aus der Bibliothek entlieh, war Keith Jarretts "Expectations" von 1972, ein Album, auf dem der notorisch divenhafte Pianist auch am Sopransaxofon zu hören ist.

"Ich hatte keine Ahnung von Jazz oder Jarrett, sondern nur gesehen, dass er Klavier und Saxofon spielt, dieselben Instrumente wie ich, also dachte ich: Das ist wohl was für mich!" Bis heute hat sie diese Meinung nicht geändert, auch wenn man es ihrer Musik nicht anhört. Rasmussen hat sich nicht bloß "an allen großen Free-Jazz-Saxofonisten" orientiert, von denen sie keinen hervorheben möchte, sondern auch an Genres wie Punk und Noise.

Was sie tatsächlich geformt hat, war - in präpandemischen Zeiten - ein exzessives Tour-Leben und die Begegnung mit Musikerinnen und Musikern ganz unterschiedlicher Provenienz: "Ich habe praktisch jahrelang aus meinem Koffer gelebt und etwa 150 Konzerte im Jahr gespielt; viele Jazzfestivals, aber ich war auch lange mit Bands wie Godspeed You! Black Emperor unterwegs, wo ich als ,Vorband' aufgetreten bin. Als Saxofonistin solo vor 2000 Leuten aufzutreten, die eigentlich gekommen sind, um eine Rockband zu hören, ist schon fordernd: Da muss man sich die Aufmerksamkeit wirklich erkämpfen."

Rasmussen tut dies mit einem schneidenden, harschen Sound, der den ganzen Körper beansprucht: "Wenn man zu Beginn einer Solo-Tour nicht fit und in Form ist, dann ist man es auf jeden Fall, wenn man wieder zurückkommt."

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Mette Rasmussen gelegentlich mit Mette Henriette Martedatter Rølvåg verwechselt wird, einer gebürtigen Trondheimerin, die 2015 mit ihrem unter dem Namen Mette Henriette erschienenen Doppelalbum einen kleinen Hype verbuchen konnte, aber klangästhetisch am anderen Ende des Spektrums angesiedelt ist - etwa dort, wo die melodiösen Girlanden des Schöntöners Jan Gabarek über Fjorde, Felder und Fluren fließen.

Dass die beiden Mettes vor über zehn Jahren einmal gemeinsam ein Trio betrieben haben, spricht für die musikästhetische Unverkrampftheit der beiden, vielleicht der skandinavischen Jazzszene insgesamt.

Apropos Skandinavien: Bevor sie am Samstag ihren ersten Auftritt in Saalfelden hat, wird Mette Rasmussen von Mittwoch bis Freitag auch noch drei Konzerte beim Oslo Jazz Festival spielen.

Sie wird einen nicht ganz schlanken CO2-Fußabdruck hinterlassen und bei ihrer Rückkehr nach Trondheim sehr, sehr fit sein. (Klaus Nüchtern, Der Falter, 33/2022)