Fr 19. Dezember 2025
20:30

Jazzorchester Vorarlberg 'Leelah' feat. Renee Benson & Vincent Pongracz (A/USA)

Renee Benson: vocals, lyrics
Vincent Pongracz: clarinet, composition
Martin Franz, Andreas Broger, Isabellla Lingg, Klaus Peter: reeds
Christoph Ellensohn: french horn
Jan Ströhle, Phil Yaeger, Thomas Halfer: trombones
Bartholomäus Natter, Martin Eberle, Anton Meusburger: trumpets
Benny Omerzell: keyboards
Tobias Vedovelli: bass
Christian Eberle: drums

Wir starten ca. 1/2 h vor Konzertbeginn den Live-Stream (Real-Time, nach Konzertende nicht mehr abrufbar!). Durch Klicken auf "Zum Livestream" öffnet sich ein Fenster, wo Sie kostenlos und ohne irgendeine Registrierung das Konzert miterleben können. Wir ersuchen Sie aber, dieses Projekt über "Pay as you wish" zu unterstützen. Vielen Dank & Willkommen im realen & virtuellen Club!

Eine Jazzoper also. Da gibt es in Österreich eine Art Tradition. Ernst Krenek bezeichnete sein 1927 entstandenes Werk „Jonny spielt auf“ als Jazzoper, wobei die Stilistik des Jazz da nur am Rande vorkommt. Fast ein halbes Jahrhundert später war ein gewisser Michael Mantler mitverantwortlich für das monumentale „Escalator over the Hill“ von Carla Bley, ein Opus, das tatsächlich als Jazzoper zu bezeichnen ist. Nun macht sich der Komponist und Klarinettist Vincent Pongracz daran, diesem Genre ein weiteres Exempel hinzuzufügen und das Ergebnis kann sich hören und natürlich auch sehen lassen. „Leelah“ heißt seine Arbeit, das Libretto stammt von Renee Benson, einer afroamerikanischen Poetin, Sängerin und Performerin. Inhaltlich geht es um die achtjährige Leelah, die als „digital native“ ein mysteriöses Spielzeug erhält. Mit Auflagen: Sie darf es erst nach Anbruch des Morgens auspacken und das Toy gibt erst nach dem Auflösen rätselhafter Aufgaben sein Geheimnis preis. So steht dem Mädchen eine lange Nacht bevor, voller Zweifel und innerer Kämpfe – der Versuch, die kindliche Unschuld zu bewahren bzw. eine Wandlung des unschuldigen Kindes. Und das in einer Konsum-Welt, die auf unmittelbare Befriedigung ausgerichtet ist. Auf ihrer Reise durch das Spielzeug wird Leelah in vier weibliche Archetypen aufgespalten. Renee Benson verkörpert das Mädchen, die Jungfrau, die Mutter und die Zauberin mit viel Dramatik, Leidenschaft und großen Gesten – stilistisch angesiedelt in den weiten Räumen zwischen Rap, HipHop, Soul und Jazz. Eine überzeugende Darbietung und ein überzeugender Text mit viel interpretatorischem Spielraum.

Vincent Pongracz, der zu den eigenwilligsten und spannendsten Komponisten seiner Generation zählt, hat basierend auf elf Stücken einen Song-Zyklus verfasst, der einerseits den Texten die notwendige rhythmisch-harmonische Grundstruktur liefert, andererseits der Sängerin erlaubt, ihre gesamte vokale Farbpalette aufzutragen. Eine sehr eigenständige Symbiose aus Wort und Klang, die so wohl auch noch nicht gehört wurde – kein Wunder, versteht sich der Komponist als Synästhetiker, was in seinen Arbeiten mit dem Synesthetic Quartet & Octet oder seinem Solo-Programm Synesthetic Ivo zum Ausdruck kommt. Interessant ist auch, dass die Opern-Form aus einer Personalentscheidung entstanden ist. Er erhielt von Martin Eberle, dem Leiter des Jazzorchester Vorarlberg, einen Kompositionsauftrag, und als klar war, dass Renee Benson mit an Bord ist, war auch klar, dass sie einen spezifischen Text schreiben würde, ähnlich wie die beiden auch im erwähnten Octet gearbeitet haben. So entstand während des beidseitigen Schreibprozesses eher zufällig diese Form. Pongracz nennt auch keine historischen Vorbilder im Genre Jazzoper, sondern verweist auf indirekte Einflüsse von Olivier Messiaen, Gil Evans und Duke Ellingtons Suiten.

Ich finde „Leelah“ einen äußerst gelungenen und interessanten Versuch, diesem etwas sperrigen Genre etwas Neues und Zeitgemäßes abzutrotzen. Vielleicht findet dieses Stück ja auch die Bühne einer „richtigen“ Oper. Im Jazzclub funktioniert es jedenfalls wunderbar!

Christoph Huber, Porgy & Bess, Mai 2023