Di 13. Januar 2004
20:00

Chillin' with Andy Bey

Andy Bey: piano, vocals

Manchmal muss man etwas tausendmal hören, bevor man es wirklich versteht, bevor man entdeckt was dahinter steckt, bevor man begreift worum es eigentlich geht. Wenn Andy Bey, vom eigenen Pianospiel begleitet, auf „Chillin‘ With Bey“ einige handverlesene Standards von Gershwin, Rodgers & Hart oder auch Ellington singt, kann das zu einer solchen sinngemäßen Offenbarung führen. Das intime, intensive Zusammenspiel des, je nachdem singenden Pianisten oder klavierspielenden Sängers, legt nicht nur die Seele des interpreten frei. Es sorgt vielmehr für eine kunstvolle Verschmelzung des Musikers mit diesen von ihm wiederbelebten Kompositionen.
 
Das anfangs perlende, dann wieder Monk-monströse, später auch mal akkordisch groovende Klavier, das mußevolle Timing, der sonore Bariton, die fragile Falsettsimme, das dramatische Tremolo - alles wird eins mit der textlichen und musikalischen Botschaft dieser zehn sagenhaften Songs. Das Bonmot vom „nagelneuen Klassiker, den man so garantiert noch nicht gehört hat“, passt. „Mountain Greenery“, ein Rodgers & Hart-Original, das schon Ella in sensationelle Swingungen versetzte, gibt das grundentspannte Tempo vor. Auf einmal hört man auf den Text. Und die Geschichte vom frühjährlichen Paar-Ausflug in die grünen Berge bekommt mehr als nur einen zartbitteren Beigeschmack.

Auch "With A Song In My Heart", eine ebenfalls von Richard Rogers und Lorenz Hart komponierte Ode an die singende Sonne im Herzen, bei der sich allabendlich aufs Neue die Liebe auf den ersten Blick und damit eine immer stärkere Verliebtheit einstellt, klingt eher reflektiert realistisch, als hoffnunglos romantisch.
Fast so, als wüsste der über alle Maßen Liebende, dass seine Gefühle nicht erwidert werden. Andy Bey weiß bestimmt, wovon er singt. Er hat alle Höhen und Tiefen des Lebens und der Liebe überlebt. Er ist dabei kein bisschen zynisch oder abgeklärt geworden – und klingt doch eher enttäuscht als weise. „When Your Lover Has Gone“ singt er so, als wäre die zerstörte Beziehung eben nur eine weitere zu überwindende Lebenshürde. „My Heart Stood Still“, wieder von Rodgers & Hart, wirkt sicher auch eher unterschwellig als überschwänglich, wobei es sicherlich auf seine eigene, dezente Art die Sagenhaftigkeit der
Amor-induzierten Kardioplegie glorifiziert. Eigentlich kann man sowieso aus all diesen Songs heraushören, was man gerade will. Auf den frisch Verliebten wird der ruhevolle
Vortrag des Andy Bey elegant und entspannt wirken. Ein tragisch Getrennter wird darin mitleidende Traurigkeit erkennen. „There Will Never Be Another You“ geht da mit gutem Beispiel voran: Die gleichen Lobeshymnen, mit denen der Glückliche seine unvergleichliche Liebe lobt, werden dem Einsamen zum Klagelied. „The Other Half Of Me“, ein eher selten gesungenes Kleinod aus den Federn von Jack Lawrence und Stan Freeman, ist zweifellos voll suchender Sehnsucht. Aber auch diese herzerreißende Melodie wird einem glücklichen Paar nur noch verdeutlichen, was es an seiner Liebe hat. Ambivalenz ist das falsche Wort, denn es bleibt eher eine Frage der Interpretation, als der Intention. Selbst die Liebeslieder „You Stepped Out Of A Dream“ und „More Love Than Your Love“ werden zu zweischneidigen Schwertern. „I’ve Got A Crush On You“ könnte bei entsprechender Einstellung auch so verstanden werden, als wäre all die Verschossenheit längst ins Leere gegangen. Duke Ellingtons „Sophisticated Lady“ wird in der Traurigkeit ihrer ruinierten Existenz so mitfühlend porträtiert, dass man sich sofort und ohne jedes Mitleid in sie verlieben will. Da ist immer Hoffnung in der Verzweiflung, aber auch eine Träne im lachenden Auge. Andy Bey singt nicht nur den Text, klärt nicht nur musikalisch die Bedeutung, er verdeutlicht auch den Subtext. Bei dieser Musik ist nicht alles so, wie es scheint. Da ist immer mehr Sein als Schein.

Kein Wunder, dass Andy Bey als der beste Jazzsänger unserer Zeit gilt. Dass er gleichzeitig immer noch „unsung hero“ und „best kept secret“ genannt wird und man sich allerorten über seine Absenz aus den Jazzlexika wundert, ist ein echtes Rätsel. Aber eigentlich nur eines von vielen. Der mittlerweile 63jährige Andy Bey war ein Wunderkind, das mit drei Klavier spielte, mit acht mit Hank Mobley sang, mit 13 mit Louis Jordan auftrat und neben Connie Francis in einer nationalen Fernsehshow glänzte, aber erst jetzt echtes internationales Ansehen genießt. Er ist die hörbare Inspiration für Kurt Elling, Kevin Mahogany oder Mark Murphy, nahm mit allen möglichen Jazzstars von Max Roach über Sonny Rollins, Eddie Harris, McCoy Tyner, Rahsaan Roland Kirk, Duke Pearson, Gary
Bartz, Horace Silver, den Kennys Dorham und Clarke, dazu von Stanley Clarke bis Gary Bartz Platten auf, aber machte in den ersten vierzig Jahren seiner Karriere nur ein einziges Album unter eigenem Namen („Experience & Judgement“, 1974, Atlantic). Er weiß seit Jahren, dass er HIV-positiv ist und lebt gerade deshalb bewusster und besser als zuvor. Er schreibt ständig neue Songs und macht sich trotzdem einen immer größeren Namen als Songbook-Interpret. Außerdem singt er so gut, dass es sein großartiges Klavierspiel oft genug in den Hintergrund drängt. Nachdem er 1996 mit dem Album „Ballads, Blues & Bey“ nach langen Jahren des gelegentlichen Gastspielens (mal bei Horace Silver, dann wieder bei Karl Denson, Fred Hersch oder auch Cold Sweat) wieder ein solistisches Lebenzeichen
von sich gab, ist Andy Bey stetig dabei seinen verdienten Ruhm und guten Ruf zu mehren. „Shades Of Bey“ wurde im letzten Jahr von „Tuesdays In Chinatown“ (Minor Music) gefolgt, in dessen Kielwasser Andy Bey unter anderem auch auf europäischen Festivals wie „North Sea Jazz“ in Den Haag auftrat. Während einer Solo-Pianotour im November 2002 fand sich Andy Bey schließlich auch im Augsburger Studio seines langjährigen Freundes Wolfgang Lackerschmid ein, um die Aufnahmen zu machen, deren Essenz sich jetzt auf „Chillin‘ With Bey“ findet. In völliger Ruhe, einfach so, nahm er „ein paar Standards“ auf, die ihm gerade so in den Sinn kamen. Und auch wenn er damals nicht im Entferntesten daran dachte, diese Aufnahmen je zu veröffentlichen, war er mit dem Ergebnis, auch dem Klang seiner Stimme und des Klaviers, schließlich doch so zufrieden, dass er diese zehn grandiosen Kunstwerke für eine CD auswählte. Es ist eine persönliche
Einladung in seine musikalische Welt. He who really listens, will be „chillin‘ with Andy Bey“. (Minor Music)