Do 8. April 2004
21:00
staubgold music out of place label tour II

Sun (Aus/A)

Oren Ambarchi: drums, guitar, electronics
Scott Horscroft
Clare Cooper: harp, electronics
Chris Townend
Martin Siewert: guitar, electronics
Markus Detmer: turntables

Sun ist der Beweis, dass gestandene Avantgarde-Player den Blues spielen können. Chris Townsend und Oren Ambarchi haben Twin Peaky-Songs geschrieben, gerade mal so viele, um deinen Tag mit einer guten halben Stunde träumerischer Schwermut zu retten. Ambarchi und Townsend kennen sich aus gemeinsamen Zeiten in Sidneys Post-Punk und free Jazz Underground. Seit Mitte der 90er Jahre war Ambarchi Kunde in Townsends Recording Studio, um dort seine singulären Gitarrentracks aufzunehmen und zu mastern. Irgendwann kam die Idee auf, ein gemeinsames Pop-Projekt zu starten. „Chris hatte plötzlich etwas ungebuchten Space im Studio und erinnerte mich an die Pop-Idee“ berichtet Ambarchi im Gespräch. „Wir sind einfach ohne zu viel zu erwarten ins Studio gegangen. Es gab keine Absprachen über Songstrukturen, Akkordfolgen oder ähnliches. Wir haben einfach gespielt, das Material hat sich langsam zu dem entwickelt, was man auf dem Album hört. Wir haben bewusst auf aufwändige Postproduktion oder Overdubbing verzichtet, wir wollten unser Experiment direkt dokumentieren.“ Nach diesem Heimwerker-Prinzip lässt sich ohrenscheinlich Großes schaffen: alle Songs des Albums atmen die Weite australischer Landschaften. Ähnlich der Musik von Tarnation oder Low werden Suns Lieder dadurch magisch, dass sie oft wie Schatten scheinen: Melodien werden angedeutet, prägnante Bass-Pluckereien plötzlich nicht weiter verfolgt oder Songlinien durch Voice-Dopplungen durchgrätscht. Die Kraft der Aussparung reift hier zum kompositorischen Prinzip, auch wenn Ambarchi behauptet, eben nicht komponiert zu haben. Egal. Es folgt die Dekonstruktion auf dem Fuße, in Form der anhängigen Remixes von Fennesz, Pluramon oder Pimmon auf dem Release. Hier wird ein neuer Blickwinkel auf die fragilen Strukturen möglich und eine ästhetische Brücke zu Ambarchis Soloarbeit geschlagen. „Die Remixes kommen aus dem Avantgarde-Lager, weil dies die Leute sind, deren Arbeit ich schätze. Außerdem gab es gerade von meinen Experimental-Mates die euphorischsten Reaktionen auf das Popmaterial von Sun, was mich sehr gefreut hat.“ Mit den Remixes beharrt Ambarchi außerdem darauf, dass der Unterschied zwischen Sun und seinen Solo-Gitarrenimprovisationen nicht so groß ist. „Mein Konzept ist, mich auf eine Idee zu konzentrieren und diese wirklich zu erkunden und soundmässig auszureizen. Ich muss nicht Tausende von Events in meinen Tracks haben, sondern ich vertiefe mich lieber in einen Sound oder eine Stimmung. Meine Arbeiten sind einfach, recht primitiv und rau - bei Sun, als auch auf meinen Solo-Alben.“ Das kongeniale Breakthrough Album Insulation (Touch, 1997) hat Ambarchi in seinem Flat nur mit seiner Gitarre, einem ausrangierten Effects-Pedal und einem Vierspurgerät aufgezeichnet. Die zirpenden Zwitschlaute der Saiten, das druckvolle Dröhnen des Feedbacks und die nächtlichen Zitterpartien speisen sich aus der isolierten Position Ambarchis im Sydney jener Zeit und aus den vorher gemachten Erfahrungen. Immerhin kehrt Ambarchi aus New York zurück, nachdem er bei Zorn eine Platte veröffentlicht hat, die fuzzy Psych-Noise-Jazz Rock präsentierte. In Sydney brachen wichtige Venues des Free Jazz-Circuit durch Schliessungen weg, Ambarchis Noise-Rock-Band Phlegm löst sich auf und er selbst interessiert sich verstärkt für elektronische Musik. Der Versuch dies zu verarbeiten ist Insulation. „Während der Aufnahmen zu Insulation interessierte ich mich sehr stark für die neue elektronische Musik, die das Mego-Label veröffentlichte. Außerdem hörte ich musique concrete aus den 50er und 60er Jahren, sowie die ganzen Minimalisten. Ich wollte einfach analog zu meinen Hörerfahrungen eine Musik schaffen, die komplett auf meiner Gefühlswelt basiert, ohne in bekannten Gesten und Techniken zu verweilen. Als ich in New York Keiji Haino sah, war das für mich die Offenbarung. Hier war jemand, der keine ausgefeilte Gitarrentechnik beherrschte, der aber auf der Bühne trotzdem etwas sehr eigenes, etwas einzigartiges und absolut kraftvolles schuf. Da wusste ich, ich muss Gitarre spielen - und wenn es bedeutet, die Saiten mit dem Drumstick zu malträtieren, dann so be it.“ Neben weiteren Soloreleases zeigt vor allem das zweite Touch-Album, Suspension, Ambarchis Interesse an Texturen und für das graduelle Verschieben von Soundlayern gegeneinander. Es war nur eine Frage der Zeit, dass er mit dieser Visitenkarte in den Avantgarde-Kreisen landen würde. Es entstand so eine spontane Ensemble Arbeit mit Fennesz, Pita, Pimmon und Co. (auf Ritornell), sowie ein Album mit kraftvollen Absolutmusik-Gitarrenduellen mit Keith Rowe (AMM). Popmusik à la Sun zu spielen ist für Ambarchi mittlerweile das echte Experiment. (Till Kniola)