So 10. Dezember 2006
20:00

Wiener Tschuschenkapelle „Slavkovo Sevdah Sijelo“ (SCG/BIH/HR/A/BG)

Slavko Ninic: Gesang, Gitarre, Moderation
Jovica Petkovic: Akkordeon
Jovan Torbica: Kontrabaß
Hidan Mamudov: Klarinette
Ljerka Cencic: Gesang
& Gäste

Die Wiener Tschuschenkapelle hat lange Zeit vor verschiedenen Balkanbooms, und auch vor Kusturicas Filmen das westliche Publikum für die Vielfalt und Schönheit der Musik von Slawonien bis Anatolien sensibilisiert. Zu dieser Vielfalt gehört selbsverständlich die Kunst der bosnischen Sevdalinka. Als Liedgattung ist Sevdalinka durchaus vergleichbar mit dem portugiesischen Fado, dem Flamenco in Spanien oder dem griechischen Rembetiko. Die Liedtexte sind lyrisch-poetisch, sie sind wehmütig, besingen meistens unerfüllte und unglückliche Liebe, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, als dem in „unserem Tränental“. Die orientalisch-fatalistische Erkenntnis, daß man dagegen sowieso nicht viel tun kann, außer das Ganze vielleicht mit einigen Gläsern „Slivowitza“ erträglicher zu machen, zieht sich durch das gesamte Liedgut, wie ein roter Faden. Ebenso schlägt sich dieses osmanische Erbe in den kunstvollen Verzierungen der Melodie stärker nieder als in anderen Liedtraditionen des Balkanraumes.
„Sevdah“ kommt aus dem Arabischen, wo es so viel wie „schwarze Galle“, also nach den Vorstellungen der antiken Medizin die Melancholie ausdrückt. Als osmanisches Lehnwort erlangte es vorrangig die Bedeutung von „Liebessehnsucht“. Es wäre aber nicht richtig, die Sevdalinka allein der muslimischen Bevölkerung Bosniens zuzuschlagen, obwohl sie von dieser am konsequentesten tradiert und gepflegt wird, sie ist meiner Ansicht nach ein kollektives Erbe aller konfessioneller und ethnischer Gruppen, also der Muslime, Kroaten, Serben, Vlachen, Roma und Juden. Ich selber bin zwar im kroatischen Slawonien aufgewachsen, doch ist mein Bezug zu bosnischer Kultur ein sehr intimer, stammen doch meine Eltern aus Zentralbosnien.
Für das Projekt einer gemeinsamen CD mit Sevdalinkamusik könnte man sich keinen besseren Partner vorstellen als den 80-jährigen Jovica Petkovic, den vielleicht berühmtesten Akkordeonisten Ex-Jugoslawiens. In Serbien geboren, folgte er bereits als Kind Zigeunern nach Sarajevo, wo er sich niederließ und mit der Zeit zum Meister der bosnischen Musik wurde. Er war lange Jahre Chef des Radio- und Fernsehorchesters in Sarajevo, und in dieser Periode konnte eine Reihe von exzellenten Künstlern unter seiner Leitung das Gut der Sevdalinka pflegen und weiterentwickeln.
Es ist ein schöner Zufall, daß dieser Altmeister der Sevdalinka in Wien lebt. Er unterhält eine Akkordeonschule für Kinder und lebte, mehr oder weniger isoliert von der heimischen Musikszene, in einer Art jugoslawischem Exilghetto. Für das österreichische Publikum wurde er, auf meine Empfehlung hin, von den Veranstaltern des Akkordeonfestivals erst 2001 quasi entdeckt und trat dann immer wieder als Gastmusiker mit der Wiener Tschuschenkapelle auf, 2004 im renommierten Wiener Jazz-Establishment, Porgy&Bess, und zuletzt ebenfalls mit der Wiener Tschuschenkapelle als Höhepunkt im Abschlußkonzert in einer Art Balkan-Buena-Vista-Social-Club des Jeunesse-Festivals „Über Grenzen“ in Wien im, Herbst 2005. Sehr erfolgreich war auch ein gemeinsamer Sevdalinkaabend, ebenfalls im Wiener Porgy&Bess, unter dem Titel „Slavkovo Sevdah Sijelo“, wo die Idee und der Wunsch, gemeinsam eine Sevdah-CD aufzunehmen, geboren wurden. Diese Idee mußte man ohne Zeitverluste realisieren, Jovica Petkovic ist zwar rüstig und spielerisch-technisch gut wie kaum je zuvor, man durfte aber sein relativ hohes Alter nicht unberücksichtigt lassen. So ging man an die Arbeit oder besser gesagt gleich ins Studio, denn für Proben war keine Zeit mehr!
Das Ergebnis liegt vor. Die CD ist ohne Schnörkel und ohne das „moderne“ Schnik-Schnack eingespielt. (Slavko Ninic)