Mi 14. Februar 2007
20:00

Anthony Braxton Sextet (USA)

Anthony Braxton: alto-, sopranino-, baritone-, bass-, contrabass saxophone
Taylor Ho Bynum: cornet, fluegelhorn, rumpbone
Jessica Pavone: violin, alto viola
Jay Rozen: tuba
Chris Dahlgren: bass
Aaron Siegel: percussion, vibraphone

In den 60er Jahren wurden alle Musikstile ins Extrem geführt - auch zu ihren Endpunkten. Die serielle Musik, die für die klassischen Konzertsäle komponiert wurde (etwa von Luigi Nono), fand sich bestätigt in den gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Genauso wurde der Free Jazz durch eine kämpferische Position gegen die Diskriminierung der Schwarzen in den USA legitimiert. Serialismus wie Free Jazz sind weiterhin existent. Doch müssen sich diese musikalischen Stile noch immer durch gesellschaftspolitische Positionen legitimieren?
Anthony Braxton, ein musikalischer Avantgardist und Wortführer der „Black Culture“, wird 60 Jahre alt und beharrt auf der Besonderheit der „Schwarzen Musik“. Jazz wurde als Mischung aus englischen Hymnen, französischem Vaudeville und zahlreichen anderen Ingredienzien der Einwanderer bis zur Klezmer-Musik gewonnen, wobei afrikanische Rhythmen ein bestimmendes Element waren. Jazz wurde von schwarzen Musikern erfunden - doch ist deshalb Jazz die Musik der schwarzen Bevölkerung der USA? Auch die Zigeuner Mitteleuropas haben eine spezielle Musik erfunden, die sie gut vermarkten konnten. Doch heute wissen wir, dass diese „Zigeuner-Musik“ ein Kunstprodukt ist, das bei den herrschenden Schichten gut vermarktet werden konnte. Die Volksmusik der Sinti und Roma klingt ganz anders. Ebenso lässt es sich in Bezug auf die Musik der Schwarzen in den USA argumentieren: Als sich der Jazz als Genre etablierte, waren sofort die Musikverlage da, die immer exotischere Variationen dieser neuen Musik verlangten. Verstärkt wurde die Tendenz mit dem Auftreten der Schallplatten-Industrie.
Anthony Braxton - sozusagen ein amerikanischer 68er - widerspricht vehement, dass dieses simple Modell der Kultur der Afroamerikaner adäquat sei. Da gäbe es ja sonst auch keinen Platz für seine eigene Musik. Und die stamme aus seinem ständigen Versuch, aus originären Quellen der afrikanischen Kulturen zu schöpfen, die auf den amerikanischen Kontinent verschleppt wurden, wobei in der Vermischung mit den Traditionen der weißen Einwanderer eine neue Kultur, eben der Afroamerikaner entstanden sei. Am 4. Juni 1945 in Chicago geboren, wurde 1966 zum Mitglied der ersten revolutionären Musik-Gang, der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM). Doch sein Ziel war nicht gerade die freie Improvisation. Die Kompositionen für die Alben „For Two Pianos“ und „For Four Orchestras“ (sic!) zeigten, wie weit sich Anthony Braxton vom Jazz entfernt hat, nimmt er doch in diesen auch Bezug auf Schönberg, Stockhausen und Cage. Anthony Braxton hat dabei nie seine Liebe zum Jazz geleugnet, immer wieder nennt er John Coltrane, Paul Desmond und Warne Marsh als Vorbilder für sein Spiel auf dem Saxofon. Und 1974 - also lange vor der Retro-Obsession unserer Tage - nahm Braxton zwei Alben „In the Tradition Sessions“ auf, denen weitere als Tribut für Thelonious Monk und Lennie Tristano folgten. Es stellt sich die Frage, ob das Anthony Braxton das Recht gibt, sich als Bewahrer und Hüter „schwarzer“ Kultur zu präsentieren? In den Liner Notes zum Doppelalbum „Anthony Braxton-Andrew Cyrille“, das vom Schweizer Intakt Label veröffentlicht wurde, schlägt Braxton zum Rundumschlag aus: Er bezeichnet die „Inthronisierung“ von Wynton Marsalis als einen „Generalangriff auf alle kreativen Kräfte, die sich von den Machern des Marktes nicht vorschreiben lassen wollen.“
Sicher wurden mit einer durch Blues und Swing begrenzten Definition von „Schwarzsein“ viele kreative Musiker von vornherein ausgeschlossen. Doch Anthony Braxton gehört sicher nicht zu diesen. (http://oe1.orf.at)