Fr 16. März 2007
20:00

Charles Gayle Trio (USA)

Charles Gayle: saxophone
Gerald Benson: bass
Michael Wimberly: drums

Da vergleicht sich einer mit einem Boxer, einem Stahlarbeiter, einem Abrisskommando. Da will einer atemlos um sich schlagen, im Fabriklärm flüssiges Feuer gießen, will Mauern niederreißen, Berge versetzen, Meere zerteilen, will das Himmelstor aufreißen mit seinem Saxophon. Da spielt einer an gegen die Kälte, den Hunger und die Heimatlosigkeit, gegen Leere, Versteinerung und den Verlust der Hoffnung. Spielt mit alttestamentarischer Wucht: kompromisslos, mitleidlos, radikal. Bläst schiere Energie.
Dieser Mann ist Charles Gayle, geboren 1939 in Buffalo, letzter Prophet des Free Jazz. Zwanzig Jahre lang schlug er sich im Moloch New York als Straßenmusiker durch, ein Märtyrer am Saxophon, hungernd, frierend, obdachlos. Er schlief auf Parkbänken, stöberte im Abfall und schrie auf seinem Instrument gegen die Gleichgültigkeit an. „Fünf bis sechs Tage in der Woche spiele ich draußen, im Freien oder in der U-Bahn, und ich bekomme vielleicht sieben Dollar. (...) Zehn Dollar sind schon ein guter Tag. Da muss ich den ganzen Tag dort stehen, um so viel zu kriegen.“ Charles Gayle spielte um sein Leben, und das ist die extreme, verschreckende Wahrheit seiner Musik. Er hat das Instrument gelernt, er hat Jazz an der Universität unterrichtet, aber um so zu spielen wie er, bedarf es anderer Erfahrungen. Sein Saxophonspiel ist in musikalischen Begriffen kaum zu fassen und noch weniger zu bewerten. Es kommt aus keiner Schule, es erwächst aus mentaler Energie. Hier geht es nicht um die richtige Intonation, um Changes und Phrasierung, hier geht es um grenzenlosen Sound. (...) Auch musikalische Gebäude zerbrechen da, Tapeten aus Konventionen zerbröseln. Charles Gayles Musik predigt Freiheit im emphatischen Sinn, Spontaneität in absoluter Maßlosigkeit. „Wir sind nicht so frei, wie wir glauben.“ Darum geht er auf die Bühne, ohne mit seinen Musikern auch nur Absprachen zu treffen. (...) Gayle beruft sich wie John Coltrane und Albert Ayler vor ihm auf die Kraft, die aus schwarzer Spiritualität kommt - eine Kraft, die nichts mit frommer Andacht gemein hat, nichts mit stillem Gebet und ergebener Kontemplation. Diese Kraft ist vielmehr eine, die dreinfahren möchte, eine Feuerzungen-Predigt, eine Hymne mit einem Engelsschwert. In Gayles Christentum wirkt noch die Macht der magischen Beschwörung, das Ritual, das böse Geister zwingt, ein Berge versetzender Glaube. (...) (Hans-Jürgen Schaal)