Sa 15. März 2008
20:30

Lucas Niggli’s Zoom meets Arte Quartet „Crash Cruise“ (CH/D)

Lucas Niggli: drums, percussion
Nils Wogram: trombone, melodica, voice
Philip Schaufelberger: guitar
Beat Hofstetter: soprano- , tenor saxophone
Sascha Armbruster: alto-, soprano-, tenor saxophone
Andrea Formenti: tenor-, soprano saxophone
Beat Kappeler: baritone-, soprano saxophone

Kreativität jenseits aller akademischen Konventionen führt mitunter zu erfreulichen, ja geradezu beflügelnden Resultaten. Der 1968 geborene Perkussionist, Bandleader und Komponist Lucas Niggli etwa agiert als Autodidakt ausserhalb der gängigen Schulen, welche den Jazz heute in all seinen Erscheinungsformen dominieren. Wohl gerade weil der Zürcher Oberländer sich nie einem formellen Musikstudium unterzogen hat, fallen die Resultate seiner Kompositionen so erfrischend eigenständig aus. Und umso höher noch ist seine Leistung einzuschätzen, als er seine Ideen, die sich oft beim Proben aus einem Groove heraus entspinnen, mit immensem Aufwand zu Papier bringen muss.
Besonders ambitiös präsentierte sich die Suite „Crash Cruise\". Bei aller Komplexität gelang es Niggli und seinen Mitmusikern, die Aufmerksamkeit des Publikums über eine Stunde an die Musik zu binden. Niggli liebt es, seine Stammformation Zoom (mit dem Gitarristen Philipp Schaufelberger und dem Posaunisten Nils Wogram) mit einem zweiten Ensemble zu konfrontieren. So ist denn auch seine jüngste, in gewohnter Weise kontrastreiche und kurzweilige Komposition für zwei sehr unterschiedliche Klangkörper gesetzt. Auf das Trio Zoom stösst das Basler Arte Quartett, das sich auf die äusseren Ränder der klassischen Saxophonmusik spezialisiert hat. Beim Werk handelt es sich um eine vielteilige Suite (unter anderem mit Ausschnitten aus Nigglis Work in Progress „Klung - kleine Unzulänglichkeiten\"), wovon einzelne Teile nur für den einen oder anderen Klangkörper geschrieben sind. Sequenzielle Passagen wechseln sich mit Episoden ab, an denen beide Klangkörper beteiligt sind. Dabei wird Zoom oft als Rhythmusgruppe, das Saxophonquartett als klangfarbenreicher Chor eingesetzt. Mit grossem Geschick spielt der pfiffige Komponist mit den unterschiedlichen Artikulations- und Klangidealen. Die vier Basler Saxophonisten des Arte Quartett sind weder Jazzmusiker noch Improvisatoren. Allerdings sind sie wegen ihrer regelmässigen Beschäftigung mit musikalisch Randständigem bestens gerüstet, die ungewöhnlichen Vorlagen Nigglis umzusetzen. Ob dieser mikrotonale Episoden oder kinetische Raumklänge verlangt oder ob gar vom Baritonsaxophonisten jazzige Grooves gefordert werden - immer zeigte das Quartett viel Präsenz, Konzentration und Engagement. Zu einem der Programmhöhepunkte wurde ein ausserordentlich virtuoses, dem englischen Saxophonisten Evan Parker gewidmetes Stück, das von den Ausführenden auf vier Sopransaxophonen nicht nur kreisende Bewegungen, sondern auch alle erdenklichen Atemtechniken verlangt. Durch die teils simultanen, teils gegenläufigen Bewegungen entstand ein berauschender Klang, den Niggli selbst mit dem Effekt eines rotierenden Leslie-Lautsprechers vergleicht. Auf der anderen Seite Zoom: Die Formation hat sich seit 1999 zu einem hoch interaktiven, unverwechselbar klingenden Ensemble entwickelt. Zoom ist Nigglis Laboratorium, in dem seine rhythmischen, melodischen oder klanglichen Ideen zuerst ausprobiert werden. Dabei ist dieses Trio keine einheitliche Band, sondern betreibt als improvisierendes Dreieck zahlreiche unterschiedliche Binnen-Beziehungen. Der Gitarrist Philipp Schaufelberger, den Niggli sein „harmonisches Gewissen\" nennt, ist noch am ehesten der klassische Jazzmusiker. Dabei ist bemerkenswert, dass Schaufelberger ausschliesslich ein Instrument aus der Anfangszeit der elektrischen Gitarre einsetzt: die brettförmige Fender Telecaster. Niggli selbst, der sich in den rhythmischen Welten des Jazz und des Rock ebenso heimisch fühlt wie bei afrikanischen und asiatischen Ethno-Sounds, der feinste Pulse ebenso erzeugen kann wie freie Gewitterstürme, bedient sich hingegen eines ganzen Arsenals an Perkussionsinstrumenten. Zum „normalen\" Jazz-Set kommt eine Vielzahl an Gongs und Becken, die der originelle Schlagwerker mit unterschiedlichsten Mitteln zum Klingen bringt. Der Posaunenvirtuose Nils Wogram bildet sozusagen das Bindeglied zwischen den beiden Ensembles. Wogram ist nicht nur ein erstklassiger, einfallsreicher Improvisator, dem in jeder Situation inspirierte Chorusse einfallen. Er ist auch ein Musiker, der das ganze Klang- und Effektspektrum der neuen Musik verinnerlicht hat. Dazu kommt bei allen jenes Feu sacré, ohne das Nigglis Musik nicht lodern könnte. Niggli ist einmal mehr ein Spagat gelungen - die Überwindung der Grenzen zwischen „hüben\" und „drüben\". (Nick Liebmann)