Mi 1. September 2010
21:00
Universal Music presents

Rickie Lee Jones (USA)

Rickie Lee Jones: vocals, piano, guitar

Wenn Rickie Lee Jones in Interviews ihr aktuelles Leben beschreibt, klingt das nicht gerade nach Rock- und Pop-Glamour. „Ich bin jetzt 55, habe vor zwei Jahren meine Mutter beerdigt, und meine Tochter geht mit 21 mittlerweile ihre eigenen Wege“, resümiert die alleinerziehende Musikerin lakonisch, mit einem Hauch Melancholie in der Stimme.
Natürlich reflektiert sie diese Gemütszustände auf ihrer jüngsten CD. „Jede meiner Platten ist von einem bestimmten Thema geprägt. Das neue Album habe ich für Leute in meinem Alter gemacht. Wir sind weder jung noch alt, mögen alle Arten von Musik, haben Lebenserfahrung.“ Trotzdem zieht sich Jones nicht zurück in die Innerlichkeit. Ein Stück von „Balm In Gilead“ dreht sich beispielsweise um Rassismus, ein anderes hat sie hingegen an ihre Tochter adressiert. Im gut gefüllten Theatersaal des Mousonturms erwähnt Jones, dieses Lied schon vor der Geburt begonnen, aber jetzt erst vollendet zu haben: Hektik gehört sicher nicht zu den Wesenszügen der Kalifornierin. Und so ist auch ihr denkwürdiges Konzert in mehrerer Hinsicht geprägt von einer geradezu magischen Zeitlosigkeit. Seitdem Rickie Lee Jones mit ihrer Ballade auf den Musikerkollegen Chuck E. Weiss 1979 schlagartig populär wurde, strahlt ihre charismatische Stimme wie eine Supernova am Songwriter-Firmament. Ihre Ausdruckskraft vereint mädchenhafte Verhuschtheit und durchtriebene Laszivität. Eindringlich erzählt sie lebendige Geschichten, die auch ohne vollständiges Textverständnis zu fesseln vermögen. Naturgemäß etwas rauher und brüchiger als früher hat Jones’ Gesang nichts an Energie verloren, was sich in einigen entschlossenen Aufschwüngen und lange angehaltenen hohen Noten zeigt. Fast durchgängig im Mittelpunkt des Geschehens bewahren die eigenwilligen Melodielinien und sprunghaften Phrasierungen sogar romantische Lieder vor Kitsch. Dahinter verwehen Jones’ sparsame Pickings auf der Western-Gitarre. Selten greift sie zu rhythmisch akzentuierten Anschlägen. Es dauert auch eine Weile, bis der überaus sensible Schlagzeuger Lionel Cole mehr beisteuern darf als leises Rascheln oder Triangel-Klingeln. Gelegentlich verblüfft er mit hoher Chor-Stimme. Neben ihm wechselt Joey Maramba grandios flexibel auf seinem E-Bass von pulsierenden oder akkordartigen Mustern zu bogengestrichenen, an Kontrabass oder Cello erinnernde Motive.
Rickie Lee Jones’ ungeschliffene, intensive Aura lässt kaum daran denken, dass sie seit mehr als 30 Jahren auf der Bühne steht. Ihre Musik entfernt sich im Grunde nicht vollends vom Mainstream, wirkt aber dank singulärem, manchmal beinahe gospeligem Gesang und einigen improvisierten Passagen weit weniger glatt und gewöhnlich als viele der jungen, sogenannten „Jazz“-Sängerinnen. Couragiert setzt Jones in ihrem Programm vor allem auf Balladen. Darunter sind viele ältere Stücke, etwa die Hälfte ohne spürbare Taktschläge. Dass sich die Poetin zwischendurch selbst ans Schlagzeug begibt, hat sicher weniger mit rhythmischer Qualität als mit ihrem Streben nach Unabhängigkeit zu tun. Immerhin kann sich Lionel Cole bei der Gelegenheit auch als Pianist profilieren. Nur für wenige Stücke wechselt Jones selbst an den Flügel, noch seltener nutzen sie oder Cole Keyboardsounds als weitere Klangfarben.
Resignation scheint Rickie Lee Jones fremd, selbst wenn sie in ihren Liedern wie im Leben bisweilen den Blues hat. Immerhin findet sie in der Musik auch Trost, wie sie im Lauf des Konzerts unprätentiös bemerkt. Abseits der Bühne erwähnt Jones die Erkenntnis ihres Managements, dass wegen der illegalen Downloads auch für sie mit Platten kaum mehr Geld zu verdienen sei. Ginge es bei ihren Konzerten nur um die Gage, müsste Jones in Frankfurt sicher nicht gut zwei Stunden ohne Pause auf der Bühne stehen. Zu ihrer ebenso konsequenten wie leidenschaftlichen Haltung gehört auch, sich dem Zugaben-Ritual zu verweigern. Ein herzliches Dankeschön, ein Lächeln, ein Abgang; Rickie Lee Jones’ Stil ist im aktuellen Pop-Kontext ziemlich einmalig. (Frankfurter Allgemeine Zeitung)