Do 21. März 2013
22:00

Samúel Jón Samúelsson Big Band (ISL)

Jóel Pálsson, Steinar Sigurðarson: tenor saxophone
Óskar Guðjónsson: baritone saxophone
Kjartan Hákonarson, Snorri Sigurðarson, Ívar Guðmundsson: trumpet
Samúel Jón Samúelsson, Kári Hólmar Ragnarsson, Eyþór Kolbeins: trombone
Ómar Guðjónsson: guitar
Hannes Helgason: keyboards
Ingi S. Skúlason: bass
Helgi Svavar Helgason: drums
Sigtryggur Baldursson: percussion

Der Eyjafjallajökull speit Funk
17 Mann machen Druck: Die Samúel Jón Samúelsson Big Band aus Island bläst zum Angriff auf das Erbe von Earth, Wind & Fire und James Brown.

In den Straßen von San Francisco herrscht Panik. Alles rennt schreiend durcheinander, Karl Malden verliert den Hut, der junge Michael Douglas versucht vergeblich, das Chaos zu ordnen. Eine Gruppe breitschultriger Bösewichte stapft drohend heran. Kurze Spannung, alle springen in die Autos – Verfolgungsjagd, yeah.

So in etwa begänne der mehr als zwölf Minuten lange erste Track auf Helvítis Fokking Funk, wäre er ein Fernsehseriensoundtrack. Ein bisschen klingen die üppigen Titel der Samúel Jón Samúelsson Big Band nach Blaxploitation-Minidramen, Prügelszenen und Siebziger-Jahre-Lederklamotten. Nach amerikanischen Westküstengroßstädten, stellenweise aber auch nach arabischen Wüsteneien, ghanaischen Highlife-Clubs, psychedelischer Goa-Kommune und Outer Space. Dabei kommt die Band aus Island.

Das Label nennt sie eine “isländische Naturgewalt”, Bilder von sprudelnden Geysiren und Vulkan-Eruptionen bieten sich an, vom Eyjafjallajökull, der im Frühjahr 2010 ganz Europa paralysierte. Oder von der Bankenkrise, die Island vor vier Jahren heftig traf und die Bürger auf die Straße trieb. “Helvítis Fokking Fokk” war einer ihrer Slogans, was wir sicherheitshalber mal nur ins Englische übersetzen als Hell fucking fuck.

Wir gehen mal davon aus, das “Funk” auch im Isländischen Funk heißt, jedenfalls klingt Helvítis Fokking Funk so. Die knapp zwanzigköpfige Formation des Posaunisten aus Reykjavik bläst ähnlich scharfe Sätze wie einst Earth, Wind & Fire oder Tower Of Power, streckt Fühler tief ins beatende Herz Afrikas und groovt cooler als weiland James Brown.

Samúel Jón Samúelsson ist “in den 70ern geboren, in den 80ern aufgewachsen, kann sich an die 90er nicht erinnern”. Spielt Klavier mit zehn, Trompete mit zwölf, wechselt mangels Schulinstrumenten zur Posaune. Macht nach der High School in Jazz, Disco, Easy Listening, Rock, Funk. 2000 schließt er die Musikhochschule ab und gründet seine Big Band. Hat auch schon mit Sigur Rós und anderen isländischen Bands gearbeitet (nein, mit Björk nicht).

Zwölf Jahre später besteht die bunt gewürfelte Big Band aus 17 Instrumentalclowns und Profi-Sinfonikern. Der Percussionist war mal Schlagzeuger der Sugarcubes (ha! also doch Björk!), der Organist gibt sonst Schubert-Abende. Mindestens fünf Saxofone, drei bis vier Trompeten und ebenso viele Posaunen, dicke Rhythmusgruppe. Dunkle Dreiteiler, abgerockte Jeans, T-Shirts und Cowboyhüte, aberwitzige Fantasiekostüme – eine Art Mothers of Invention des Jazz. Ja, improvisiert wird auch. Viel.

Die Plattenfirma hätte gern, dass wir ihre Musik als irgendwie politisch verstehen, wegen Songtiteln wie International Monetary Funk und wegen Chicken Street, einer Anspielung auf die einstige Hippie-Flaniermeile Kabuls, auf der isländische Soldaten bei Anschlägen starben. Wegen Guð Blessi Ísland (hoffentlich bekommt der Browser die isländischen Sonderzeichen hin), Gott segne Island – mit diesen Worten schloss der damalige Premierminister die Rede, in der er das Land für pleite erklärte. Wenn sich Politik in derart überbordenden Brass-Spaß packen lässt, ist die Welt noch nicht verloren. (Volker Schmidt, Die Zeit)