Steinar Sigurðarson: tenor saxophone
Tommi Manoury: c melodi saxophone
Helgi Rúnar: bariton saxophone
Ívar Guðmundsson: Snorri Sigurðarson, Kjartan Hákonarson, Ari Bragi Kárason: trumpet
Samúel Jón Samúelsson, Kári Hólmar Ragnarsson, Eyþór Kolbeins: trombone
Steingrímur Teague: keyboards
Daníel Friðrik Böðvarsson: guitar
Arnljótur Sigurðsson: bass
Sigfús Óttarsson: drums
Islands Antwort auf die Krise: Samúel Jón Samúelsson Big Band
Von Island aus setzt in diesem Herbst eine Band zum Sprung auf das europäische Festland an, die es in sich hat: Die Samúel Jón Samúelsson Big Band: Seit den Aschewolken des Eyjafjallajökull hat nichts mehr so viel Staub aufgewirbelt, wie diese knapp zwanzigköpfige Formation aus Reykjavik. Ihr brodelnder Afrofunkbigbandjazz ist knietief im klassischen Funk von James Brown verwurzelt, groovt druckvoll wie Fred Wesley und ist schweißtreibend wie Fela Kutis Afrobeat-Nächte in Lagos’ legendärem “Shrine Club”. Seine scharfen und komplexen Bläsersätze verweisen auf Kultbands wie Brass Construction, Kool & The Gang, Earth, Wind & Fire und Tower Of Power. Ein Sound, mächtig wie eine Vulkaneruption.
Samúel Jón Samúelsson, Absolvent der FIH Musikschule, Gewinner des Icelandic Music Award. Der Posaunist aus Reykjavik ist ein typischer Vertreter der eng verzahnten isländischen Musikszene. Als Sessionmusiker und Arrangeur hat er für Sigur Rós und Mezzoforte gearbeitet. Und in seinen beiden, seit Ende der 1990er bzw. Anfang 2000 bestehenden Formationen Jagúar und der Samúel Jón Samúelsson Big Band finden sich die unterschiedlichsten Musiker. Der Percussionist der Big Band war der Schlagzeuger der Sugarcubes, andere spielen Avantgarde, ruhige Duos oder auch schon mal Schubert-Abende, wie etwa der Organist. Aber alle sind mit Begeisterung dabei, wenn es darum geht, in einer Funk Big Band so richtig die Sau raus zu lassen.
Gerade mal 300.000 Einwohner zählt die Vulkaninsel im Nordatlantik, auf einen Quadratkilometer kommen 3,1 Menschen. Dennoch sind nirgendwo sonst Musiker so eng vernetzt wie in Island. Jeder kennt jeden, jeder spielt bei jedem. Das befeuert die Kreativität isländischer Musiker. Die Enge schweißt zusammen, lässt keinen Platz für elitäre Eitelkeiten. Man macht Musik, weil es Spaß macht, ohne Scheuklappen. Diesen Wesenszug der isländischen Musikszene bringen die Jungs um Samúel Jón Samúelsson perfekt rüber.
Wer das Funk-Kollektiv im April 2012 live erlebt hat, weiß was das heißt. Bei ihrem letzten Deutschlandauftritt im Rahmen der Bremer Jazzmesse Jazzahead rissen die Nordmänner selbst abgebrühte Kritiker und Insider buchstäblich von den Stühlen und bewiesen, dass der beste Jazz immer noch der ist, zu dem man tanzen kann.
Kein Wunder: On stage ist die Samúel Jón Samúelsson Big Band einfach spektakulär: mindestens fünf Saxofone, drei bis vier Trompeten und ebenso viele Posaunen plus umfangreich besetzter Rhythmusgruppe erzeugen eine Druckwelle, die alle(s) mitreißt. Auch optisch fahren die Jungs ganz groß auf und kommen mit stylischen Outfits. Ob komplett im dunklen Dreiteiler, in abgerockten Jeans, T-Shirts und Cowboyhüten oder in aberwitzigen Fantasiekostümen (wenn etwa der Organist unter einer riesigen Mütze in Fischform verschwindet) – Konzerte der Samúel Jón Samúelsson Big Band sind vor allem eines: große Parties! Parliament und Deichkind lassen grüßen.
Obwohl ein reines Instrumentalalbum kann man “Helvítis Fokking Funk” durchaus als ein politisches motiviertes Werk verstehen. Der Albumtitel spielt auf den Schlachtruf vieler Isländer an, der ihre Ohnmacht ausdrückte, angesichts der von Banken und Politik verursachten Finanzkrise im Jahr 2008: “Helvítis fokking fokk”, bedeutet übersetzt “Hell Fucking Fuck“.
Ein verstörender kakophonischer Einstieg. Bedrohlich marschiert die Band. Stoppt abrupt. Räumt das Feld für ein schmutziges Funk-Gitarren-Lick. Das Schlagzeug setzt ein und wir sind mitten drin im polyrhythmischen Afrobeat, der uns durch das ganze Album begleitet. Die kraftvoll elegant swingenden Bläser der Highlife Musik aus Ghana, die uptempo Rhythmen aus Nigeria, diese beiden zentralen Musikstile Westafrikas, die afrikanische Rhythmen mit Improvisation und Instrumentierung des Jazz verschmelzen. “Chicken Street” heißt jene legendäre Straße in Kabul, die einst Treffpunkt zahlreicher Hippies war und noch heute Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt ist. Und deren friedlicher Mythos durch die jüngsten Selbstmordanschläge zerstört worden ist. Bei einem der Anschläge kamen 2006 auch isländische Soldaten beim Bummel über den Basar zu Tode.
Vom Funk durchtränkt und rockend, wie aus einem Blaxploitation-Movie kommt der Titeltrack “Helvítis Fokking Funk“. Der Wah-Wah-Basslauf bewegt sich auf Schulterhöhe mit den Posaunen, messerscharf schneiden die Trompeten hinein. Bläsersätze, an deren druckvoller Dynamik und perfektem Teamspiel ein Peter Herbolzheimer gewiss seine Freude gehabt hätte. Nicht ganz zufällig erinnert SJS mit Bart und Statur sowie in der Art, seine Musiker wie ein Besessener anzutreiben an den berühmten Bandleader. Wenn Hit-Hat und Snare-Drum bei “Ahoba Rodney” einsetzen, denkt man Tony Allen höchstpersönlich säße hinterm Schlagzeug. Dieser Track hat definitiv das Zeug zur Singleauskopplung. Ein Club-Hit par excellence.
Ganz zart setzt die Querflöte an und entführt uns die Weiten des Weltalls, zu “Phobos & Deimos“, den beiden Monden des Mars. Deren Namen bedeuten übersetzt “Furcht & Schrecken”, und so bleibt es bei kurzer Ruhephase, bevor die Bläser den Auftakt zu einem schwer groovenden Stück machen, bei dem “spacige” Elemente auf orientalische Einflüsse treffen. Bis plötzlich alles abbricht und die Big Band das Thema nur noch pfeifend fortsetzt, wie ein altes Volkslied. Posaunen, Trompeten und Saxophone greifen die Melodie auf, führen sie fort, immer mehr Instrumente der Band kommen dazu, die Marching Band setzt sich in Bewegung, bringt den anfänglichen Groove zurück ohne ihren marschierenden Charakter zu verlieren. “International Monetary Funk” ist eine Anspielung auf die Finanzkrise, die Island 2008 erschütterte und auf die Banken, die sie verschuldeten. Ein Spannungsbogen zieht sich durch das Stück, der in einem ausgedehntem Saxofonsolo kulminiert oder sich erst am Schluss in dem an Roger Eno’s “Apollo Soundtracks” erinnernden Ausklang auflöst. Der vielleicht politischste Track des Albums heißt “Guð Blessi Ísland” (“Gott schütze Island”). Seine getragene Stimmung entspricht seinem Thema, ist der Song doch eine Referenz an den gleichnamigen isländischen Dokumentarfilm von 2009, der eindrücklich die Stimmung, Verzweiflung und Wut vieler Isländer beschreibt, als der Premierminister 2008 mit diesen Worten seine Rede zur Insolvenz des Landes schloss. (Pressetext)
http://www.inreykjavik.is/ordnung-im-chaos-die-samuel-jon-samuelsson-big-band/