Mo 22. September 2014
20:30
A Family Affair

Christian Muthspiel 4 feat. Steve Swallow 'Seaven Teares – A Tribute to John Dowland' (A/CH/F/USA)

Christian Muthspiel: trombone, piano, e-piano, compositions
Matthieu Michel: trumpet, flugelhorn
Franck Tortiller: vibraphone
Steve Swallow: electric bass

Es ist ein musikalisches Konzept, so stabil wie der Turm neben Sant’Apollinare bei Ravenna und durch kein Erdbeben zu erschüttern. Und das, obwohl der österreichische Posaunist und Pianist Christian Muthspiel etwas wagt, was schon in so manche Sackgasse musikhistorischen Ausmaßes geführt hat: die Verbindung von Klassik und Jazz, die hier noch einmal mit elektronischen Mitteln auf den neuesten Materialstand musikalischer Produktion gebracht wird.
Die Idee, Teile der Gambenmusik „Lachrimae“ von John Dowland aus dem Jahr 1604 mit Jazzformen zusammenzubringen und daraus ein schillerndes Gesamtkunstwerk zu kreieren, ging freilich deshalb so frappierend auf, weil nicht wie im Third Stream Jazz der unselige Versuch unternommen wurde, den Jazz zu adeln, indem man ihm ein klassisches Strukturkorsett verpasst oder indem man Jazzmusikern klassische Artikulation und Klassikern jazzmäßige Phrasierung aufdrängt und alles in ein zickiges künstlerisches Versöhnungsritual mündet. Muthspiels zehn Tränenstücke für vier Interpreten sind aktueller Jazz, der harmonisch-melodische Motive des englischen Renaissance-Lautenisten improvisatorisch verarbeitet. Keineswegs rekonstruierend, dafür so feinfühlend, dass die chromatisch absteigenden Tonfolgen des menschlichen Leidens von Dowland wie genuines Blues-Feeling erscheinen oder die Kontrapunkte wie sensible Kollektivimprovisationen wirken. (…)
Man kann sich nicht satthören an diesen kompositorisch-improvisatorischen Klangbildern, die miteinander verschränkt werden, abrupt aneinander stoßen, sich ständig in irgendeine musikalische Richtung auflösen, aber stets eine betörende Sinnlichkeit entfalten. (…)
Am faszinierendsten aber ist dieses Klanggeschehen, wenn die vier kongenialen Musiker das tradierte Tonmaterial hinter sich lassen und in ein kollektives Improvisieren verfallen, das an die intensivsten Sessions des Modern Jazz Quartet erinnert. Auch bei diesen vollführte jeder für sich eine Art spontanes Action-Painting, am Ende aber entstand etwas, das wie ein in sich geschlossenes – und adäquat gerahmtes – Meisterwerk impressionistischer Klangmalerei erschien". (FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2013)