Ray Anderson: trombone, vocals
Steve Salerno: guitar
Gary Versace: organ
Tommy Campbell: drums
Das Schicksal hat sich offenbar Ray Anderson als Versuchskaninchen ausgeguckt, ganz nach dem Motto: Was kann ein Mensch so alles aushalten? Mit Zwanzig durchkreuzte eine schwere Diabetes seine Zukunftspläne, Anfang der 1980er Jahre kam eine halbseitige Gesichtslähmung dazu, die 2010 zurückkehrte. Dann starb seine Frau nach langem Leiden an Krebs. Und als ob das alles nicht schon genug wäre, erkrankte auch der Posaunist selbst wenig später an Kehlkopfkrebs. All dies sowie mehrere Operationen und Bestrahlungen konnten den heute 62-Jährigen aber nicht brechen. Immer wieder kam er zurück, kämpfte erfolgreich um sein Leben und vor allem seine Musik. Ein Stehaufmännchen par excellence, das sich auch 2015 neugierig wie eh und je durch die verschlungenen Pfade des Musikgeschäftes bewegt, unverdrossen und voller Vitalität eine Reihe von Projekten in Angriff nimmt und auf diese Weise seinem Status als der vielleicht interessanteste, wandlungsfähigste lebende Jazzposaunist pausenlos neue Nahrung gibt.
Denn im unendlich dehnbaren Spektrum des virtuosen Bläsers aus Chicago erhalten Free, New Orleans, Funk, Neue Musik, Bebop, Rap, Bigband, Avantgarde und so manches mehr einen keineswegs kleinen gemeinsamen Nenner. „Musik ist für mich wie Essen“, sagt Anderson mit durchdringendem Lachen. „Sie ernährt mich, nicht nur finanziell. Manchmal möchte ich einfach etwas Anderes ausprobieren, statt Fisch einmal Pasta kosten, am nächsten Tag dann einen guten Salat und dann vielleicht ein Dessert. Mein Ziel ist es aber, immer den besten Fisch, die leckerste Pasta und den knackigsten Salat zuzubereiten.“ Getreu dieser Devise bereitet der Posaunist nun nach der spektakulären Kollektivverkostung seiner vielfältigen Projekte wie den Slickaphonics, BassDrumBone, der Alligator Band, dem Posaunenkollektiv Slideride, der Pocket Brass Band, der Lapis Lazuli Band sowie dem Hörgenuss mit namhaften Kollegen wie Mark Dresser oder Marty Ehrlich nun ein neues Sound- und Stilmenü zu: das Ray Andersonʼs Organic Quartet.
Es entspricht voll und ganz einer frühen geschmacklichen Prägung. „1964, also mit zwölf Jahren, hörte ich zum ersten Mal ´Back At The Chicken Shack` von Jimmy Smith. Der Sound der Hammond Orgel elektrisierte mich dermaßen, dass ich von diesem Moment an den drängenden Wunsch verspürte, unbedingt in einer solchen Band zu spielen. Es sollte aber noch bis 1998 dauern, bis ich die Lapis Lazuli Band mit Amina Claudine Meyers an der Orgel gründete.“ Weitere 17 Jahre später hält es Anderson nun an der Zeit, das von ihm so verehrte Instrumente vollends in den Mittelpunkt einer Band zu rücken.
Für Authentizität ist dabei reichlich gesorgt. Die Orgel bedient kein Geringerer als Gary Versace, der „Rising Star“ schlechthin an den 91 elektromagnetisch abgenommenen, synchron angetriebenen Zahnrädern des Laurens Hammond, der sich seine Sporen bei John Scofield, John Abercrombie, Al Foster, Regina Carter, Maria Schneider, Madeleine Peyroux und Matt Wilson verdiente.
Mit Steve Salerno (Jaco Pastorius. Bennie Wallace, Time Berne, Peter Erskine, Kenny Wheeler) sorgte ein Gitarrist von hoher Reputation für das Sahnehäubchen auf den klassischen Hammond-Sound. Und selbst Übervater Jimmy Smith schwebt in Person seines Neffen Tommy Campbell an den Drums über dem Organic Quartet. Mit Campbell, der in jungen Jahren schon für Dizzy Gillespie trommelte, verbindet Ray Anderson eine lange Freundschaft, die sich bereits in äußerst fruchtbaren Kollaborationen in der Lapis Lazuli Band sowie der Alligator Band niederschlug.
„Being The Point“ entpuppt sich als Farbkasten voller Klänge, als homogen konzipierte Viererbeziehung, bei der die Orgel das perfekte Vehikel für die späte Realisierung von Ray Andersons jugendlichen Träumen darstellt. Ein Lebenszeichen ist es obendrein. Für einen Musiker, ohne den der Jazz auch im 21. Jahrhundert unter Garantie ein Stück ärmer wäre.