Branford Marsalis: tenor & soprano saxophone
Joey Calderazzo: piano
Eric Revis: bass
Justin Faulkner: drums
Branford Marsalis (ss, ts), Joey Calderazzo (p), Eric Revis (b), Justin Faulkner (dr)
Mit grandiosen Darbietungen an vier aufeinander folgenden Abenden, an denen der Club von aufgeklärtem, heutigem Modern Jazz auf höchstem Niveau durchtränkt war, schickte das Porgy seinen ohnehin an magischen Momenten nicht arm gewesenen Spielplan der letzten Saison in die Sommerpause. An jeweils zwei Tagen hintereinander brannten zwei exzellente Formationen, wie gesagt, modernistische jazzmusikalische Wunderkerzen ab. In einem Jazzgestus mit würdigem Bezug zur Jazztradition in Eigenverantwortung. Den Beginn machte der unvergleichliche österreichische, ebenso mit reichlich internationaler Jazzreputation ausgestattete „Saitentänzer“ Karl Ratzer, der dieser Tage auch seinen 65.Geburtstag feierte. Er hatte sein formidables Trio mit Peter Herbert (b) und Howard Curtis (dr) um den ikonischen amerikanischen Schlagzeuger/Perkussionisten Joe Chambers, mit dem Ratzer ein inniges musikalisches Verständnis verbindet, erweitert. Wobei Chambers an diesen beiden Abenden ausschließlich am Vibraphon agierte und ein sehr ausdifferenziertes harmonisches wie melodisches Gestaltungsvermögen zu Gehör brachte. Dieses stand in einem bemerkenswerten Einklang mit Ratzers außergewöhnlichem spontanen Formdenken, das immer wieder in leuchtenden Höhepunkten kulminierte, wenn er die gegebenen Harmonien eines Standards oder einer Eigenkomposition ad hoc mit unerwarteten Akkordfortschreitungen „upgradete“. Das vertraute Rhythmusgespann war mit elastischer Bewegungsstruktur und Raffinesse punktgenau präsent und unermüdliche Antriebsfeder. Die alles umspannende Klammer war allerdings ein wieder einmal grenzgenial hellhöriger Peter Herbert. Gratulation.
Aus gruppendynamischer wie konzeptueller Sicht konnte im Folgenden das exzellente Quartett rund um Branford Marsalis noch eines draufsetzen. Es inszenierte eine rauschende Feier eines immer wieder rahmensprengenden Modern Jazz Duktus. Der Einbezug der Jazztradition, den das Quartett auf erfrischende Weise praktizierte, erlangt für Marsalis eine immer deutlichere Gewichtung. Noch pflegt er keine puristische Bewahrungshaltung, aber im Vergleich zu seinen Partnern, die die Regulative ab und an aufbrachen, lehnte sich der Saxophonist am wenigsten weit aus dem Fenster. Ungeachtet dessen konnte man einer auf´s perfekteste zusammengeschweißten Jazz-Band lauschen, in der jeder in jedem Moment auf die anderen impulsgebend eingehen konnte. Ein Sprühregen an rigoroser Imaginationskraft, an dynamischen Wechselwirkungen und solistischer Relevanz erleuchtete den Raum. Egal ob sie Eigen- oder Fremdkompositionen ausloteten (z.B. grandiose Versionen von Jarretts „Long As You Know…“ bzw. Ellingtons „It Don´t Mean A Thing….“). Betreffend der melodischen Ebene agierten Marsalis und Calderazzo wie eineiige Zwillinge. Auf rhythmischem Niveau kommunizierte das Quartett mit stupendem, kollektivem Gleichtakt. Vorwärtsgepeitscht von einem der wohl derzeit bestechendsten, jungen Jazzschlagzeuger – dem Afro-Amerikaner Justin Faulkner. Der wie eine Reinkarnation des jungen Tony Williams und der Legende Elvin Jones „trommelwirbelt“, Metren und Takte nach Belieben dehnt, verdichtet, interpoliert und neu zusammensetzt. – ein bannendes Off-Beat Furioso. Four MF´s played real music. (Hannes Schweiger)
Es war für seine Reichweite wie Doping, früh im Epizentrum des souligen Hardbop (Art Blakey’s Jazz Messengers) gelandet zu sein. Und die Gastspiele bei Sting und anderen Hitparadenreitern führten zwar zu zarten Verstimmungen mit Bruder Wynton, der als konservativer Polemiker Jazz eng definierte. Die Marke Branford Marsalis allerdings profitierte zusätzlich, wurde zum Symbol für (jazzferne Liaisons eingehende) Unbeschwertheit, die Sting-Songs wie „Englishman in New York“ veredelte.
Mittlerweile ist Branford nicht mehr so trendy, allerdings in einem robusten Maße etabliert, wodurch ihm auch der Weg offensteht, seinem puristischen Bruder in Wort und Ton ähnlicher zu werden. Man kann Branfords Ansatz – wie im Porgy zu hören war – als hitzige Neubelebung uralter Jazzformen bezeichnen: Da wechseln einander routinierte Themen und ausgiebige Improvisationen ab. Es gibt Breaks, damit selbst der Schlagzeuger ein paar Momente im Scheinwerferlicht transpirieren kann (formidabel Justin Faulkner). Zudem ist stilistisch allerlei möglich: stampfende Erinnerungen an jene Zeit, als der Kontrabass (Eric Revis) gerade die Tuba als tiefstes der Begleitinstrumente abzulösen begann, ebenso wie freejazziges Ausbrechen aus der Form.
Allerdings ist Marsalis natürlich vor allem ein John-Coltrane-Nachfahre. Seine Improvisationen durchzieht jener Geist, der Harmonien rasant-abstrakt deutet, wie dies etwa Coltrane auf „Giant Steps“ stilbildend tat. Der Sopransaxophon-Ton ist dabei von kühler Prägnanz, wobei: Am Tenorsaxophon beschwört er auch Erinnerungen an alte Klassiker wie Coleman Hawkins. All diese Flexibilität wäre indes nur hochrespektable Reproduktionskunst, würde eine eingespielte Band nicht bisweilen durch spontanes Abweichen von der Hauptroute Risiko nehmen, in Bereiche vordringen, wo das Zusammenspiel zum Roulette wird.
Besonders die Dialoge zwischen Marsalis und Pianist Joey Calderazzo (mitunter auch leichter Hang zum Kitsch) führen da und dort in Extrembereiche des Ausdrucks, zeigten Marsalis als Musiker, der Ideen ausreizt, um unbekanntes Terrain zu erreichen. Traditionspflege kann als hitzige Kunst der Mobilmachung aller Inspirationskräfte funktionieren. Für den Beweis eine kleine Verbeugung. (Ljubiša Tošić, 17.4.2012)
Ein würdiges Saison-Ende, wie ich meine. Viel Vergnügen & einen erholsamen Sommer. Bleiben Sie uns gewogen! CH
Eintritt: 38.- € Sitzplatz, 30.- € Stehplatz