Wolfgang Mitterer: piano, electronics
Ensemble XX. Jahrhundert
Peter Burwik: conductor
Thomas Frey: piccolo flute
Alessandro Baticci: piccolo flute
Georgina Oakes: clarinet, bass clarinet
Anna Koch: bass clarinet
Harald Ossberger: piano
Bojidara Kouzmanova-Vladar: violin
Tong Tong Sun: violin
Andjela Sibinovic: viola
Stefanie Prenn: cello
Programm
mobile beats
mobile beats II
networds 2
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Eine erste Zusammenarbeit mit Wolfgang Mitterer hatte es schon vor Jahren gegeben – und in der Folge einem Kompositionsauftrag des Ensembles. Diese "mobile beats" sind eines der signifikanten Werke des Abends, die einen Eindruck von der Entwicklung der kompositorischen Arbeit von Wolfgang Mitterer vermitteln - auf die er auch im Gespräch mit Peter Burwik eingehen wird. (Peter Burwik)
Eine Kooperation des P&B mit dem Ensemble XX. Jahrhundert
Vom Unerhörten
Zu Wolfgang Mitterer
In dem filmischen Monumentalepos „Heimat“ von Edgar Reitz gibt es eine Szene: Der Komponist Hermann sitzt Ende der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im Studio des Südwestrundfunks und arbeitet an einem großer großen elektroakustischen Sinfonie. Er kann sich aber nicht auf die Arbeit konzentrieren, denn in der Nacht zuvor hat er in einer autonomen Kommune von der 68er-Revolution gekostet, freie Liebe erfahren, die neuen gesellschaftspolitischen Parameter kennengelernt. Die Bilder wollen ihm nicht aus dem Kopf, auch wenn sein Assistent (ein älterer Herr in grauem Arbeitsmantel) ihm das abgemischte Material vorspielt und von den „neuen“ Klängen schwärmt…
Aber hat das Unerhörte, das Ende der 60er-Jahre hörbar gemacht wurde, Bestand gegen die politischen Umwälzungen, gegen die Bilder im Kopf, gegen das Neue, das aus jeder Ritze des Gesellschaftsgefüges hervorquillt?
Wolfgang Mitterer ist kein Theoretiker. Seine Werke sind die Antwort auf viele der gestellten Fragen (Fragen, die sich mitunter aufwerfen wie ein Grab, in dem die nicht totzukriegende Moderne rotiert, und dabei geht es um mehr, weit mehr als die Kunst…). Er hat als Grenzgänger begonnen und ist – einer der wenigen seiner Generation – dem Grenzgang treu geblieben. Er, der Sohn eines Dorfschullehrers und Kirchenorganisten, bewegt sich zwischen den Genres, zwischen sogenannter „E-Musik“ und kollektiver Improvisation, arbeitet mit Musikern zusammen, die unter dem Begriff „Jazz“ zu schubladisieren, schwer fällt, definiert das Musiktheater neu, indem er es an seinen rituellen Wurzeln packt und (Überlebensparole: „Nicht im Mittelalter versinken!“) es wieder als Ritual einer kollektiven Übereinkunft erlebbar macht, begleitet klassische Stummfilmwerke live auf der Orgel, klickt sich akustisch ein in die Performance- und Installationsszene der bildenden Künste.
Was damals in den Sixties der Soundtrack des Umbruchs war, was ist es heute? Was bewegt, was bewirkt das Unerhörte, das längst zum Schlagwort verkommen ist? Und lohnt es sich überhaupt, es hörbar zu machen, wenn das Ohr sich längst auf den synthetischen MP3-Klang eingenordet hat?
Ja, es geht Mitterer immer wieder um das Unerhörte. Es geht ihm noch immer darum. Aber nicht um die Machbarkeit, denn die ist längst durch die technischen Entwicklungen gegeben. Es geht ihm um das Reservat des Nicht-Normierten, das zum Reservoire einer autonomen, einer selbstbestimmten und eigenkreativen Lebenshaltung werden kann. „Die Neue Musik ist eine der wenigen Spielwiesen, wo man machen kann, was einem in den Sinn kommt“, hat er einmal in einem Interview gestanden. „Die, die solche Kunst interessiert, das sind nie mehr als zehn Prozent in einer Gesellschaft. Aber das sind auch die intelligenteren Leute, die offener gegenüber dem Fremden sind. Und die Politik wäre gut beraten, über die Schulbildung und auch die Musikschulen zu schauen, dass die anderen 90 Prozent nicht komplett im Mittelalter versinken. Diese Tendenz ist seit 20 Jahren da, im Prinzip seit der Wende 1989, mit dem Neoliberalismus ist alles gekippt. Und in den größeren Städten kann man schon die Früchte der Unbildung sehen.“
Unerhörtes – wer auf einer Grenzlinie tänzelt, will sie auch überschreiten. Und wer einmal eine Grenze überschritten hat, kommt selten zurück. Musik in Konzertsälen, die gesellschaftliche Übereinkunft des Hörbaren (die unweigerlich zur Nomenklatur des Hörenswerten führt), Mitterer hat ihr schon früh den Rücken gekehrt. Und damit auch der Erwartungshaltung, der ihre Produzenten ausgesetzt sind. 4 DJs, Schauspieler, Mopeds, Feuerwehr und fünf Blasmusikkapellen für ein Projekt im Steinbruch von Erl. Fünfzehn Hackbretter und drei Holzfäller für ein Event in einem Sägewerk. Hinaus aus den Räumen, die das Denken einschränken und nah heran an die Klangquellen des Heute.
Hierin hat er viel gemeinsam mit Künstlern um 1920, mit den Konzeptionisten der Prä-Vietnam-Ära, vor allem ist es seine nicht theoretisch als Lippenbekenntnis geforderte, sondern seine immer wieder künstlerisch unter Beweis gestellte Forderung nach Spontaneität, die Mitterers Werke nachhaltig kennzeichnet.
Spontaneität – ein Zeichen von Leben, ein Lebens-, ein Überlebenszeichen im Zeitalter der verordneten Funktionalität. Das Unerhörte, die Regelwidrigkeit, die ein Produkt zum Kunstwerk macht. Der Webfehler, der eine, der entscheidende, der das Unikat unterscheidet von der Massenware. (Christian Baier)