Anne Marie Fürthauer 'Das Auge des Calafati'
Vernissage: A Part of Rita
Anne Marie Fürthauer: Vocals
Martin Stepanik: Keyboards
Chris Kronreif: Saxes
Das Auge des Calafati
oder
Der Wurstelprater in Ausschnitten & Einsichten
Belichtungen mit einer „Kodak Retinette“ im Frühling 1991
Von Anne Marie Fürthauer
Ausstellungsdauer: 11.05. - 07.06. 2016
Vernissage: Dienstag, 10.Mai A Part of Rita
In Part of Rita praktizieren Anne Marie Fuerthauer als Vokalistin, Martin Stepanik am Keyboard und Chris Kronreif als Saxophonist eine Art umgekehrten Dekonstruktivismus. Relativ einfache, bekannte Tongefüge werden in einem mehrdimensionalen System abgebildet.
Die Komplexität hinter dem scheinbar Einfachen wird ausgelotet. Wenn es dann wieder zum Rendezvous mit den bekannten Motiven kommt, können wir sie in Folge dessen als erst jetzt erzeugte, überraschend und neu, nicht als Reproduktion von Bekanntem hören.
Charakteristisch vielleicht auch, wie Part of Rita Instrumente und Stimme oft je für sich zu produzieren scheinen, und doch im Ganzen perfekt zusammen stimmen. (Leander Kaiser)
Laudatio: Klaus Nüchtern
Vor gut zwei Wochen hat mich der Martin angerufen, mich auf die Ausstellung von Anne Marie aufmerksam gemacht und mir ein paar Fotos zur Ansicht gemailt...
...Er hat dann auch nicht weiters mit seinem Ansinnen hinterm Berg gehalten und gemeint, ich sei ihm als einziger eingefallen, der zu den Fotos etwas sagen könnte. Weil ich mich für Altersmilde und ergo auch dazu entschlossen habe, alle mir gegenüber geäußerten Freundlichkeiten platterdings als solche zu akzeptieren und nicht aus Ausdruck irgendeines Hintersinns oder von Desperatheit; und weil mir darüber hinaus gefallen hat, dass ausnahmsweise mal der Mann in der Manager/Musen-Doppelfunktion auftritt, habe ich zugesagt. Mir fällt dazu tatsächlich etwas ein, schon allein deswegen, weil ich auch ein Prater-Geher bin und dort auch gerne fotografiere. Außerdem ist uns beiden, Anne Marie und mir, gemeinsam, dass uns schon bei der Ansicht der meisten angeblich dem Vergnügen dienenden Geräte schlecht wird. Ich bin im Vergleich aber ausnahmsweise sogar der Unternehmungslustigere, denn ich bin nicht nur schon mit der Zwergerlbahn Heiligenblut, dem Donau-jump und der Wildalpenbahn gefahren, sondern habe mich auf Anstiftung meiner Tochter auch schon in den Volare-Rollercoaster spannen lassen. Das Härteste, was ich je gemacht habe, war freilich, mit der Dizzy Mouse zu fahren. Das ist insofern ein bisschen verwunderlich, als diese Attraktion, zu den Old-School-Vergnügungen des Wurstelpraters zählt. Beschleunigungs- und kotztechnisch sind andere Geräte gewiss wilder, aber gerade die Kurven in der Horizontalen haben es in sich und suggerieren ängstlicheren Benutzer, dass man jetzt wohl gleich aus dem Gefährt geschleudert würde. Dass die Benutzung der Dizzy Mouse tatsächlich nicht ohne Risiko ist, bewies ein Unfall im August vorigen Jahres, bei dem ein Urlauberkind „buchstäblich unter die Räder“ geriet – wie „Heute“ schrieb – und aus seiner misslichen Lage befreit werden musste. Abgesehen von seinen volatilen hat die Dizzy Mouse aber auch noch einen beträchtlichen ästhetischen Reiz: sie ist von einer gleichsam konstruktivistischen Eleganz, die besonders im Gegenlicht und im Kontrast zur symmetrischen Kompaktheit des Riesenrads besonders gut zur Geltung kommt. Wäre Vladimir Tatlin nicht bescheuert gewesen, er hätte die Dizzy Mouse gschaffen und nicht das Monument der Dritten Internationale. Sieht man von unserer Dizzymouse-sensibilität ab, beginnen hier aber schon erste Unterschiede. Ich habe eine Digi-Cam stets einstecken, hauptsächlich, um damit Wolken zu fotografieren. Anne Marie begab sich vor rund 25 Jahren an zwei Tagen – an den Fotos leicht wegen des stark unterschiedlichen Wetters zu unterscheiden: wolkenfrei oder stark bewölkt – ganz gezielt in den Prater, um mit ihrer am Flohmarkt erstandenen Kodak Retinett ganz bewusst zu fotografieren. Das Medium ist auch hier die Message, insofern, als sich die technischen Gegebenheiten und Beschränkungen dieser Form strikt analoger Fotografie ästhetisch manifest werden. Es gibt kein Teleobjektiv und keine Zoomfunktion, die Minimaldistanz, in der sich die Fotografin ihrem Objekt mit dem Objektiv nähern und scharfe Fotos von diesen manchen kann, beträgt einen Meter. Ich denke, dass Anne Marie kein dokumentarisches Interesse an ihren Motiven hat, und das auch der Blick, mit dem wir ihre Fotos betrachten, nicht auf die Identifikation eines historischen Augenblicks aus ist, jedenfalls nicht in erster Linie. Die detektivische Entschlüsselung der Tatzeit, wenn ich das einmal so nennen darf, wird durch verschiedene Umstände und Entscheidungen der Fotografin erschwert. Die Verwendung analogen Filmmaterials – Kodak 200, Entwicklung bei DM – versieht die Bilder mit einer gewissen Patina oder Aura, die weniger mit den Objekten als mit dem Material selbst zu tun hat. Anne Marie mag außerdem keine Menschen – jedenfalls nicht auf ihren Fotos. Womit das aussagekräftigste Indiz zur Identifizierung der Tatzeit wegfällt, nämlich die Kleidung. Selbst in den Totalansichten wird wenig sichtbar, was eine präzise Datierung ermöglichte. Das hängt natürlich auch ursächlich mit dem Tatort zusammen. Ein Vergnügungspark ist ein Ort der Collage und des Pastiche, der historischen und pseudo-historischen Zitate und der retrofuturistischen Gesten, und es ist woh kein Zufall, dass mich die Bilder ein wenig an die englische Fernseh-Serie „Life on Mars“ und „Ashes to Ashes“ erinnert, in denen ein verunfallter Detektiv in seiner Koma-Phantasie – so jedenfalls eine plausible Deutung – in ein Paralleluniversum aus den 70er- bzw. 80er-Jahren versetzt wird. Ich glaube, es gibt noch etwas, was Anne Marie und ich teilen: Eigentlich mögen wir den wurstelprater nicht besonders. Mir jedenfalls geht es so. Seit Kinderzeiten werden Praterbesuche stets auch von einer zarten Depression begleitet, der gleichen, die mich bei Zirkusbesuchen beschleicht. Die Melancholie, die mich anweht, resultiert, glaube ich, aus der Diskrepanz zwischen der Aufdringlichkeit eines Spaßangebots und meiner Unfähigkeit, es zu nutzen. „Fun ist ein Stahlbad“ schrieben Horkheimer und Adorno; im Prater ist es ein Zuckerwatte- und Frittierinferno: Alles ist zu süß und zu fettig. Das führt dazu, dass ich mir den Prater schöntrinke. Ich geh ja praktisch nur zum Saufen hin, und seit vielen Jahren treffen sich mein Freund Robert Rotifer und seine beiden Kinder mit meiner Tochter und mir am Weihnachtsabend gegen 17 Uhr in der Luftburg, um die depressive Valenz des Praters in vollen Zügen auszukosten. Im Unterschied zu mir ist Anne Marie Weintrinkerin. Ich vermute, dass sich die önologischen Offerte des Praters abseits der Haubengastronomie in stupend hässlichem Ambiente in Grenzen halten, und dass Anne Marie ergo darauf angewiesen ist, sich den Prater halt schönzuknipsen. Wobei ihr Zugang ja kein schlechterdings eskapistischer ist. Das was zu sehen ist, ist ja tatsächlich da. Und jeder Ausschnitt, jede Rahmung, ohne die ein Bild nun einmal nicht auskommt, verdankt sich einer Entscheidung, sei diese nun bewusst oder instinktiv gewählt. Dass Anne Marie nicht aus dem Bauch heraus fotografiert, steht übrigens außer Frage und manifestiert sich in der Liebe zum Detail, ebenso wie der in Komplexität der Bildarrangements, die sich oft erst bei näherer Betrachtung erschließt. Uns beiden ist gestern jedenfalls nicht in allen Fällen zweifelsfrei gelungen, überhaupt auszumachen, was auf den Fotos überhaupt zu sehen ist und wie der Tatort tatsächlich beschaffen ist. Fotos repräsentieren aber nie ausschließlich den Blick, den der Fotograf oder die Fotografin auf die Welt wirft, sie schauen selbst zurück. In seinem berühmten Foto-Essay „Die helle Kammer“ beschreibt Roland Barthes ein Element, das er punctum, nennt und das er bezeichnenderweise von dem des studium unterscheidet. Im Falle des studium widmet sich der Betrachter „mit souveränem Bewusstsein,“ wie Barthes schreibt, dem Objekt. Das punctum hingegen ist dasjenige, was „das studium aus dem Gleichgewicht bringt.“ „Das punctum einer Photographie“, so Barthes, ist das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft).“ Auf Wikipedia kann unter dem Eintrag zum erwähnten Essay nachlesen, was Barthes’ Konzept des punctum mit Walter Benjamins Begriff der Aura zu tun hat. Es ist ja immer nützlich, wenn man sich im Handumdrehen ein paar G’scheitheiten ergoogeln und das Vernissagen-Publikum damit entlassen kann. „Die Erfahrung der Aura beruht“, so schreibt Benjamin in dem Aufsatz „Über einige Motive bei Baudelaire“, „beruht also auf der Übertragung einer in der menschlichen Gesellschaft geläufigen Reaktionsform auf das Verhältnis des Unbelebten oder der Natur zum Menscnen. Das Angesehene oder angesehen sich Glaubende schlägt den Blickt auf. Die Aura einer Erscheinung erfahren, heißt, sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen.“ Schlagen Sie, sehr geerehrte Damen und Herren, ihren Blick auf und sehen Sie, wie der Prater in den Fotos von Anne Marie Fürthauer auf die Fotografin zurückblickt.