Marius Neset: tenor, soprano saxophone
Jim Hart: vibraphone
Ivo Neame: piano, hammond organ
Michael Janisch: bass
Anton Eger: drums, percussion
„Marius Neset ist einer der neuen großen Tenoristen unserer Zeit in der Tradition von Michael Brecker und Jan Garbarek” (Jazzwise). „Seine erfinderische Kraft ist beeindruckend“ (Jazzthetik). Nach dem Ausflug in das größere Bandformat auf seinem ACT Debüt „Lion“ mit dem Trondheim Jazz Orchestra, kehrt der norwegische Saxofonist für „Pinball“ wieder zum kompakteren Quintett (mit Gästen) zurück. Indes bleibt die kompositorische und spielerische Vielschichtigkeit erhalten und zugleich klingt Neset auf dem neuen Album so reif, seelenvoll und melodisch wie wohl nie zuvor. Und so dürfte „Pinball“ den nächsten großen Sprung in einer so jungen wie eindrucksvollen Laufbahn einläuten.
Mit Klatschen geht es los. Erst ganz langsam, dann immer schneller entfacht die Band nur mit den Händen einen rhythmischen Wirbelsturm; genau wie sich das dazu einsetzende Saxofon seine elegische Melodie bald in wilde Sprünge, Tempoläufe und chromatische Harmonieverschiebungen trägt, Zug um Zug begleitet von Rhythmusgruppe, Geige, Marimba und Flöte. Die rasende, fast indisch beginnende, dann über serielle Muster und Modern Jazz bis zu südafrikanischer Hymnik führende Fahrt endet unvermittelt in einer hauchzarten Cello-Coda: Was Neset schon beim einleitenden „World Song“ inszeniert, ist ein mitreißendes Beispiel für die neue Kraft, die der aktuelle Jazz aus der Umarmung anderer Stile und Genres gewonnen hat.
Mit seinen erst 30 Jahren ist Neset einer der führenden Protagonisten einer Musikergeneration, die dem europäischen Jazz neue Impulse geben und Perspektiven aufzeigen, ein „Young European Lions“, der mit seiner Klangsprache einen ganz eigenen Weg gefunden hat. So wie ein Vincent Peirani am Akkordeon, ein Emile Parisien am Sopransaxofon oder ein Adam Baldych an der Geige die Grenzen ihrer Instrumente neu definieren, oder so wie ein Michael Wollny die Freiheit des Klavierspiels und den Klang des traditionellen Klaviertrios erweitert, so führt auch Marius Neset die Technik des Saxofonspiels in eine neue Dimension: „Neset verliert sich nicht im Überschwang der Experimentierlaune, auch nicht im modischen Liebäugeln mit dem Pop. In jedem Moment ist ein Plan dahinter zu erkennen. Es ist ein Zipfel von der Zukunft des Jazz.“ (Frankfurter Rundschau)
Man darf darauf wetten, dass der Tenor zu Nesets neuem Album „Pinball“ nicht anders ausfallen wird. Alleine „Music for Drums and Saxophone“ ist ein Kabinettstück für sich: Eine hochkomplizierte, aber souverän groovende Stakkato-Studie tonlos geblasener Klicklaute, sofort noch an Tempo und Komplexität übertroffen vom wild wirbelnden, orchestralen „Summer Dance“. Der Titeltrack ist ein höchst komplexes, zugleich erstaunlich eingängiges Vexierspiel, das programmatisch für das Album steht: „Der Titel Pinball drückt sehr gut aus, dass hier immer Überraschendes passiert, wir alle ständig auf den Richtungswechsel des anderen reagieren. Kein Stück könnte zwei Mal gleich gespielt werden. Zugleich gibt es aber immer eine Spielidee und ein Thema. Für mich persönlich ist dieses Album vor allem die Weiterentwicklung in eine melodiösere Richtung“, sagt Neset.
Dazu passt, dass Neset in seine angestammte Band mit Anton Eger am Schlagzeug, Petter Eldh am Bass und Ivo Neame am Klavier auch noch Jim Hart an Vibrafon und Marimba geholt hat, einen der herausragenden jungen britischen Jazzer: „Seine Art zu spielen, mit seinem gleichzeitig melodischem wie rhythmischem Ansatz, warm und mit vielen perkussiven Farben, schien mir perfekt zu dem Projekt zu passen“, erinnert sich Neset. Denn für Nesets Musik ist prägend, dass er als Fünfjähriger zunächst Schlagzeug lernte: „Ich denke, das Schlagzeug gab mir eine rhythmische Basis, die sehr wichtig ist. Ich lernte sehr früh, in ungeraden Metren zu denken und zu spielen, sodass ich ein sehr natürliches Gespür dafür habe, denke ich.“ Das erleichtert die Herausforderung, „verschiedene Einflüsse, Ideen und Themen in einen Song zu packen, ohne dass er seinen flow verliert“, wie es Neset formuliert.
Eine Herausforderung, die er auf „Pinball“ konkurrenzlos gemeistert hat. Nicht nur rhythmisch, melodisch und stilistisch ist das Album ein Füllhorn, auch was instrumentale Klangfarben angeht: „Wir können alles als Quintett spielen, aber wann immer ich für das Album das Gefühl hatte, dass es mit einem weiteren Instrument noch runder klingt, habe ich es dazu genommen“. So einmal das Tamburin von August Wanngren, zweimal die Violine von Rune Tonsgaard Sörensen, drei Mal die Flöte seiner Schwester Ingrid Neset und auf vier Titeln das wunderbare Cello von Andreas Brantelid - ganz bewusst alle keine originären Jazz-Musiker: „Ich wollte noch eine andere Art des Spielens, einen weiteren Zugang zu meiner Musik gewinnen.“
Und so ist „Pinball“ mehr denn je eine von Marius Nesets spieltechnischem wie kompositorischem Genie wundersam zusammengehaltene, in die Zukunft weisende Kombination von bislang Unkombiniertem, Ungehörtem. Spannender als jedes Flipperspiel.
https://www.youtube.com/watch?v=NeQn1sj0uNw