„Ob ich mich für ein Genie halte? Nein“, so kommentierte der Altsaxophonist Steve Coleman die Nachricht, dass er zu den diesjährigen Stipendiaten der MacArthur-Stiftung zählt, die mit dem sogenannten „Genius Grant“ geehrt werden. „Als ich den Anruf der MacArthur-Stiftung erhielt, dachte ich erst: 'Okay, wer will mir da einen Streich spielen?'“ Vor Steve Coleman und dem letztjährigen Preisträger Vijay Iyer wurden schon sieben andere Jazzmusiker von der spendierfreudigen Stiftung (das Preisgeld wurde erst letztes Jahr von 500.000 auf 625.000 Dollar erhöht!) in den Rang eines Genies erhoben: Max Roach (1988), Cecil Taylor (1991), Ornette Coleman (1994), Regina Carter (2006), Miguel Zenón (2008), Jason Moran (2010) und Dafnis Prieto (2011). (Jazzecho, 2014).
Natürlich hat sich Coleman diesen Preis redlich verdient und natürlich kann man den Musiker getrost als Genie bezeichnen. Seit den späten 1970er Jahren beschäftigt sich Coleman ernsthaft mit individuellen musikalischen Konzepten, die als Grundlage für die von ihm propagierte „M-Base-Schule“ diente, auf die v.a. seine Band „The Five Elements“ aufbaute, mit der er bis heute arbeitet. Mein persönlich erstes Steve-Coleman-Konzert war ca. Mitte der 1980er Jahren und es war das Trio von Dave Holland mit Jack DeJohnette am Schlagzeug. So kehrt Herr Coleman möglicherweise wieder zu seinen ursprünglichen Wurzeln zurück. Welcome back! CH
PS: Die Auflistung der „Genie-Gewinner“ des Magazins Jazzecho ist meines Erachtens nicht ganz vollständig, weil neben den Erwähnten auch Stanley Crouch und Gunther Schuller diese Auszeichnung erhielten und auch wenn man da möglicherweise geteilter Meinung sein kann, aber als Jazzmusiker sind wohl beide zu bezeichnen!
Steve Coleman wuchs in der South Side von Chicago in einem afro-amerikanischen Umfeld auf, in dem Musik eine wichtige, alltägliche Rolle spielte. Er sang zunächst ein wenig in der Kirche und in den damals aktuellen kleinen Gruppen, die die „The Jackson 5“ nachahmten, und begann mit 14 Jahren Alt-Saxofon zu spielen. Im Alter von 17, 18 Jahren wurde seine Beschäftigung mit Musik sehr ernsthaft. Seine Bemühungen, improvisieren zu lernen, führten ihn zu Charlie Parkers Musik, die sein Vater ständig hörte und die eine wesentliche Bedeutung für seine weitere Entwicklung erhielt, weiters auch zur Musik von Sonny Rollins, John Coltrane und anderen. - Unter den Musikern, mit denen er persönlichen Kontakt hatte, haben ihn in der Anfangszeit vor allem beeinflusst: Von Freeman hinsichtlich der Improvisation, Sam Rivers hinsichtlich der Komposition und Doug Hammond hinsichtlich des konzeptuellen Verständnisses. Auch west-afrikanische Musik bekam für ihn bereits früh eine wesentliche Bedeutung.
Ende der 70er Jahre zog Steve Coleman nach New York. Er wurde bald von etlichen bekannten Band-Leadern engagiert, etwa von Thad Jones und Mel Lewis, Sam Rivers, Cecil Taylor, David Murray, Doug Hammond sowie Dave Holland. Einen großen Teil seiner ersten Zeit in New York verbrachte er jedoch damit, in einer Straßenmusik-Band, die er mit dem Trompeter Graham Haynes zusammengestellt hatte, ein wenig Geld zu verdienen. Diese Gruppe wurde zur ersten „Steve Coleman and Five Elements“-Band, in der er damals seine Improvisations-Weise entwickelte und in der Grundlagen für das von Coleman propagierte M-Base-Konzept gelegt wurden.
Seit den 80er Jahren beschäftigt sich Steve Coleman intensiv mit dem Weltverständnis alter Kulturen, vor allem mit dem alt-ägyptischen. Angeregt wurde er dazu nach eigener Aussage durch das Studium der Musik John Coltranes. Um die heute noch existierenden, mit den alten Kulturen eng verbundenen Musikformen näher kennenzulernen, unternahm er zahlreiche Reisen nach Ghana, Kuba, Senegal, Ägypten, Indien, Indonesien und Brasilien.
Im Jahr 1985 nahm Steve Coleman seine erste CD als Bandleader bei dem deutschen Label JMT auf und hat seither mit einer mehrmals veränderten Kernbesetzung und vielen wechselnden weiteren Musikern eine Reihe von sehr unterschiedlichen Aufnahmen gemacht. Im Handel nicht mehr erhältliche CDs macht Steve Coleman als kostenlose Downloads auf seiner Website zugänglich. Die CD "Alternate Dimension Series I" hat er nur auf nicht kommerziellem Weg über das Internet zur Verfügung gestellt.
Als Bandleader bindet er die Kreativität der einzelnen Mitmusiker in seine Konzepte ein und entwickelt andererseits die Musik abgestimmt auf die persönliche Stilistik seiner Mitspieler. In den 90er Jahren entwickelte er mit Hilfe von Programmierern im Pariser Forschungszentrum für Computer-Musik IRCAM ein improvisierendes Computer-Programm, das dann als „Bandmitglied“ bei einem Auftritt der Coleman-Gruppe am 11. Juni 1999 in Paris verwendet wurde.
Coleman ist immer wieder als Leiter von Workshops und als Lehrer tätig (unter anderem von 2000 – 2002 als Gastprofessor an der University Of California Berkeley).