Rudi Berger: violin, piano
Elisabeth Monder: vocals
Bernhard Wiesinger: tenor saxophone, flute
Bertl Mayer: harmonica
Al Cook, Christian Havel, Primus Sitter: guitar
Erwin Schmidt: hammond organ, piano
Uli Datler: piano, keyboards
Thomas Wall: cello
Harald Putz, Wolfgang Koeck: bass
Bernd Rommel, Joris Dudli: drums
Matheus Jardim: percussion
Rudi Berger präsentiert an diesem Abend seine neue CD und bringt einige der 'good old boys' aus seiner Anfangszeit in Wien zusammen. Ausserdem spielt er ein Stück, dass er für den vor kurzem verstorbenen Andy Manndorff geschrieben hat.
Rudi Berger – Weltreisender mit Geige
Berger ist ein österreichischer Weltenbürger, wie man ihn sich wünscht: ein Meistergeiger mit Wurzeln in heimischer Volksmusik, erfahren im amerikanisch-europäischen Jazz und mittlerweile so heimisch in Brasilien, dass ihm Patriotismus fremd ist. „Ich reise zwischen den Kulturen“, sagt er und kommt zu seinem Bühnenjubiläum gerne nach Wien zurück!
Den Violinisten Rudi Berger zu treffen, ist eine Sache (und, das sei voraus gesagt, eine höchst erfreuliche!). Eigentlich gehört er zu jener Generation des österreichischen Jazz, die ein Chronist der Zukunft einmal als die „goldenen Jahrgänge“ bezeichnen wird. Gemeint ist nicht die Generation der Erzväter des österreichischen Nachkriegsjazz, von Fatty George, Hans Koller, Erich Kleinschuster bis hin zu Hans Salomon, die noch am Widerspruch mit der Tradition und Moderne des Jazz kämpften, sondern jene, die gänzlich in der Moderne, möglicherweise gar in der Postmoderne des Jazz (und anderer Musiken) angekommen waren. Motor, Durchlauferhitzer, Aktivposten oder Dynamo für diese neue Spielauffassung war vielfach das Vienna Art Orchestra unter der Leitung von Mathias Rüegg. Zu den Orchestermitgliedern, die 1979 das legendäre Album Tango From Obango einspielten, gehörten Musiker, deren Namen bis heute ihren guten Klang nicht eingebüßt haben, etwa Wolfgang Puschnig, Roman Schwaller, Harry Sokal und eben - Rudi Berger.Wie für so viele Musiker seiner Generation war noch nicht die Universität der Ort, wo man das Musikmachen erlernte. „Mein Großvater war noch ein richtiger Volksmusiker. Er spielte Akkordeon, nicht nach Noten, sondern nach Gehör. Bei ihm habe ich als Sechsjähriger Geige spielen gelernt. Alles nur nach dem Gehör, er hat die Lieder mit einer schönen, hohen Stimme vorgesungen, ich habe sie nachzuspielen versucht.“ Das passte, um von einer damals gerade grassierenden Verrücktheit angesteckt zu werden, die vielen Jugendlichen seiner Zeit den Schub in die Anderswelt ermöglichte. Der kleine Rudi begeisterte sich für die Musik der Beatles, doch damals gab es die Noten zur Musik noch nicht zum Downloaden im Internet und nicht beim Musikalienhändler an der Ecke. „Ich habe sie nach dem Gehör gelernt. Das ist die natürlichste Art, ein Instrument zu erlernen. Beatles oder Rolling Stones? Für mich waren es die Beatles. Ich schätze, dass ihre Art der Harmonien, ihre plötzlichen harmonischen Brüche, sich unbewusst auf meine eigenen Kompositionen auswirken.“Über den Umweg der Fab Four entdeckte er auch gleich die Soul-Musik. Und dann“, er verdreht schwärmerisch die dunkelbraunen Knopfaugen, „habe ich Ray Charles gehört. Er kann alles singen, mein absoluter Lieblingssänger!“ Berger singt einige Takte im Ray-Charles-Modus, typischerweise natürlich „Yesterday“. „Ich liebe Soul. Schade, dass Soul in Österreich nie so recht angekommen ist. Ich glaube, Soul galt immer als etwas zu körperlich, dreckig.“ Gerechterweise muss ihm ein Zitat von Beatle Paul McCartney zugeflüstert werden: „Wir hatten in Liverpool von Big Bill Broonzy, Ray Charles, Little Richard oder Chuck Berry schon gehört, als noch nicht einmal alle Amerikaner mit den Namen etwas anzufangen wussten.“ Aber ob das wirklich in Wien als Trost verstanden werden kann?Glücklicherweise gab es Alternativen zu Wien und zur Soul-Abstinenz: „Als Sechzehnjähriger habe ich mit Al Cook gespielt. Ein grandioser Typ und ein fabelhafter Musiker. Die Ernsthaftigkeit und Gradlinigkeit, mit der er seine Musik macht, hatte eine starke Vorbildfunktion für mich. Cook meinte damals zu mir, ich sei der beste Bluesgeiger der Welt. Da wusste ich, dass ich nach Amerika muss, haha!“ Er lacht, und die goldig glänzende Spiegeleisonne vor ihm, von Spinatgrün delikat dekoriert, scheint heftig wackelnd, mit ihm zu lachen. Und, schwupps, ist sie weg, freudvoll verspeist, und Berger wechselt schnell das Thema: „Ich habe gerade vier Kilo abgenommen, auf einer Entschlackungskur. Konservierungsmittel gehören aus der Nahrung verbannt. Dieser ganze Fraß, den es heute gibt. Wir sollen nur noch konsumieren, konsumieren!“Unvermittelt über den Lauf der Welt schimpfen, das kann er auch. Lachen, schimpfen, reden, essen, Geige spielen. Mit ihm geht das.
Ein Problemfall und seine Lösung
Wenn das Treffen mit ihm ein Glücksfall und eine Sache ist, dann ist die andere Sache ein Problemfall und heißt: Geige. Laut Klischee bedeutet es für alle Beteiligten, ob Vater, Mutter oder Kind, einen Schmerz sondergleichen, wenn ein Kind dieses viersaitige Instrument erlernen muss. Es soll Väter geben, die lieber freiwillig fünf Jahre lang die Windeln irgendwelcher Kinder wechseln oder gar zum Zahnarzt gehen würden, und es soll Mütter geben, die lieber Cellulite am Eigenbein oder Achselhaarbüschel in Kauf nehmen würden, alles nur, um nicht Ohrenzeugen des Geigenunterrichts der lieben Kleinen zu werden. Und sind nicht die Qualen der Kinder ungezählt, die mit Quietsch- und Kratzgeräuschen auf den Weg zur guten Musik gebracht werden sollen und die eigentlich sofort und bis in alle Ewigkeiten lernen müssten, dieses Instrument, die gute Musik und alle Obrigkeiten zu hassen, die ihnen Ohrenschmerzen, Haltungsschäden, Verachtung für den Musikunterricht und die Instrumentalkunde und zudem Hass auf alle Autoritäten einimpften? Richtig! Und trotzdem passiert es, hunderttausendfach und immer wieder: Geigenunterricht! Und obwohl er eigentlich jedem Kind für immer und ewig die Lust auf Musik und Autoritäten versauen müsste, eigentlich die Subversion in jedem Land heraufbeschwören müsste, passiert just das Gegenteil. Die Liebe zur Geige nimmt zu.Glücklicherweise lacht, schimpft und isst Berger immer noch. „Weißt du, wer mich als Geiger inspiriert hat? Don ‚Sugercane’ Harris! Der hat nicht nur mit Zappa gespielt, sondern auch bei John Mayall. Sein 1970er Album ‚USA Union’, er spitzt die Lippen, „ein Genuss! Wunderbar! Ein toller Geiger!“Der wirklich tolle Don Harris wurde 1938 geboren und feierte seine ersten Erfolge in den frühen fünfziger Jahren mit Johnny Otis und als Rhythm & Blues, bzw. Rock ’n’ Roll Duo Don & Dewey mit Dewey Terry. Als Geiger mit klassischer Ausbildung und einem unbändigen, im Blues und Jazz begründeten Improvisationsstil, beeinflusst von der afroamerikanischen Geigen-Legende Stuff Smith, spielte er mit Frank Zappa, aber vor allem mit Bluesleuten wie John Lee Hooker, Brownie McGhee und Sonny Terry, eben mit John Mayall und mit dem späteren Avantgarde-Jazz-Geiger Billy Bang. Einer seiner größten Förderer war der deutsche Jazz-Publizist Joachim Ernst Berendt, der für ihn mehrere Alben produzierte und genau um die einzigartige Stellung des 1999 in Los Angeles verstorbenen Afroamerikaners wusste. Denn für Berendt stand Harris für eine gänzlich andere Spielweise des gestrichenen Viersaiters als die, die in der westlichen Tradition üblich war. Um diesen Ansatz zu verstehen, braucht es – gewissermaßen – einen großen Bogen. Berendt hatte ihn, als er die Anfänge des Jazz aus der Perspektive der Geige beschrieb: „Die New Orleans-Bands und Ragtime-Orchester hatten in der Anfangszeit einen Geiger, aber sie hatten ihn im Grunde nur deshalb, weil man dies noch von der Musik des neunzehnten Jahrhunderts her gewohnt war. Die Geiger der alten New Orleans-Orchester entsprachen also durchaus dem ‚Stehgeiger’ in der Wiener Kaffeehausmusik. Bis in die fünfziger Jahre hinein lag die Kaffeehaustradition wie ein Schatten über dem Schicksal der Jazzgeiger, was häufig dazu führte, dass sie – da sie mit der Entwicklung der anderen Instrumente nicht Schritt halten konnten – wieder im Kaffeehaus oder jedenfalls bei der Unterhaltungsmusik landeten.“ Das ist gleichermaßen richtig wie falsch. Die europäische Tradition mag Geiger in die Klassik, ins Symphonie-Orchester, oder, gar über den Jazz, wieder ins Kaffeehaus, sprich: in die seichte Unterhaltungsmusik führen. Möglicherweise hatte Berendt, als er diese Zeilen formulierte, den Weg des deutschen Geigers Helmut Zacharias vor Augen, der als einer der swingendsten Nachkriegsfiedler begann und dann mit „Hits-für-Millionen“ zum Nachmittagskaffee bei deutschen Muttis aufspielte. Ganz sicher nicht vor Augen und Ohren hatte Berendt wohl, dass sich der Gebrauch der Fiedler in den New Orleans-Orchestern nicht allein dem Einfluss europäischer Musik des neunzehnten Jahrhunderts verdankte. Denn Jazz speiste sich bekanntlich auch aus afrikanischen, sogar irischen Quellen. Über die Fiedel in irischer Musik muss hier nicht weiter spekuliert werden, aber in der afrikanischen Musik hatten Instrumente, die mit dem Bogen gespielt wurden, eine lange Tradition. Ob die Umqunge bei den Pondo, die Imzad bei den Tuareg oder die Njarka in Mali, auf afrikanischen Fiedeln erklang schon Musik, als Stradivari noch nicht geboren war. Und die afrikanischen Sklaven brachten ihre Musik und ihre Spielweisen mit nach Amerika, und was lag näher, in der neuen Heimat ihre Musik mit der des neuen Kontinents zu verbinden und von der Njarka auf eine, wahrscheinlich im Versandhandel bei Sears & Roebuck billig erworbene Geige umzusteigen? Im frühen Blues gehörten Violinisten einfach mit dazu, und als Muddy Waters 1942 seine ersten Aufnahmen machte, dann mit dem Geiger Son Simms. Aus dieser Tradition des Blues kamen später Leute wie Don „Sugarcane“ Harris, der sich auf Stuff Smith (1909-1967) berief. Von ihm und einigen anderen Geigern im Blues-Jazz-Kontext heißt es nicht zufällig, dass, so Berendt, „jedem ‚wohlerzogenen’ Konzertgeiger die Haare zu Berge standen angesichts der Art, in der er sein Instrument traktierte.“ Bei der Nennung des Namens von Stuff Smith gerät Berger jedenfalls ins Schwärmen: „Mann, bei dem war alles Phrasierung!“Wenn die Bluestradition auf der einen Seite die traditionelle Spielweise der Geige aufbrach, dann kamen zu Beginn der siebziger Jahre mit einem neu erwachten Interesse für das Instrument auch neue Ansätze zwischen Rock, Free Jazz und Avantgarde auf. Jerry Goodman, Zbigniew Seifert, Michal Urbaniak, Leroy Jenkins, Billy Bang, Jean-Luc Ponty, Didier Lockwood, John Blake, Michel Sampson, Mat Maneri, Jon Rose, Mari Kimura, Regina Carter, Mark Feldman, Jenny Scheinman, sie und viele andere Geiger revolutionierten das Spiel auf dem kleinen Instrument, das einen weiten Wanderweg durch die Kulturen hinter sich hat. Und Rudi Berger war mit dabei.
Einmal Weltbürger, immer Weltbürger
Nachdem die goldene Spiegelei-Sonne untergegangen ist, beeilt Berger sich schnell, keine falsche Stimmung aufkommen zu lassen. „Es behagt mir nicht, auf Österreich zu schimpfen. Ich bin ein einfacher Mensch, ein lustiger Mensch. Aber es wird nicht besser hier, oder?“ Eine kurze Wendung, der Führung eines Bogens nicht unähnlich, folgt, als ein Satz von Stefan Zweigs 1942 erschienenem Klassiker Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers fällt, dem zufolge das Wien von einst ein Weltbürgertum erzog, das seinesgleichen suchte. „Ach, das war einmal, das ist aber doch längst nicht mehr so, oder? Ich jedenfalls lebe immer schon zwischen den Kulturen. Als ich in Wien lebte, wollte ich immer schon nach New York. Da bin ich dann Ende der achtziger Jahre hingezogen. Ich wollte den Jazz von der Pike auf erlernen. In New York habe ich den brasilianischen Meistergitarristen Toninho Horta kennen gelernt. Bis 1996 blieb ich in New York, bin als ‚special guest’ sicherlich auf 200 bis 300 Aufnahmen zu hören, aber dann zog es mich mit Toninho immer mehr nach Brasilien. Erst war es nur ein Festival, dann eine Tour, und seit 2003 lebe ich offiziell in Brasilien.“Seitdem scheint die Sonne über ihm, und wenn auf seinen letzten zwei CDs Postcard From Brazil (2001) und In Search Of Harmony (2010) brasilianisches Flair und rhythmische Leichtigkeit ausbrechen, dann passt das besser denn je zuvor zu seinem Geigenspiel. Denn bei früheren Aufnahmen im Jazz-Rock-Idiom klang sein Spiel schnell, aber auch schrill und erlernt und Eindruck schindend. Jetzt allerdings hat er zu einem Ton gefunden, der in sich ruht, der singhafte, aber nie kitschige Melodien intoniert und einer Singstimme ähnlicher klingt als dem einschmeichelnden Kaffeehauston der Geige. Den Großvater würde es freuen. „Meine Musik“, erklärt er, „singt vom Leben. Von meinem Großvater, von verstorbenen Freunden. Und das ist meine Musik, das ist nicht nur Jazz, ich spiele mit meiner Geige keinen Gypsy Swing und auch keine brasilianische Musik. Mein Bogen reicht vom Country, Blues zu Gospel, Soul, in meiner Musik schwingt alles mit. Ich habe mir für meine Musik ein eigenes, innovatives Vokabular erschaffen. So ein Geigenspiel gab es vorher nicht!“ Das genau ist das Schöne: dass man Weltbürger sein kann und eine Sprache spricht, die man als seine eigene erkennt und die im Chor der Weltsprachen verstanden wird. Keine Frage, dass man ihn und seine Geige bei seinem Bühnenjubiläumskonzert im Wiener Porgy & Bess verstehen wird, oder? (Harald Justin, 2014)
Als Reisender zwischen den Kulturen, in denen sich der Wiener Jazzgeiger und Songwriter Rudi Berger seit Jahren bewegt, sind in erster Linie die Vielfalt des menschlichen Ausdrucks Quellen der Inspiration für seine Stücke und Spiel. Dies verdeutlicht er auf seinem neuen Tonträger "Contemplation", getragen von seiner über die Zeit entwickelten persönlichen Tongebung als Geiger und Komponist. Seit seiner ersten Europa Tournee als Bandleader im Jahre 1990 präsentierte er seine Musik in Jazzclubs, Konzertsälen und Festivals in 29 Ländern weltweit. Rudi Berger übersiedelte 1986 nach New York und lebt seit 2003 in Brasilien. An diesem Abend lädt Rudi Berger einige seiner Musikerfreunde und Kollegen, mit denen er in Wien seine ersten Schritte tätigte, ins Wiener Porgy & Bess und präsentiert in diesem Rahmen auch seinen neuen Tonträger "Contemplation" auf ATS Records erschienen. (Pressetext)