Sounds of Entschleunigung: Bugge Wesseltoft
Berlin - Die puristische «Jazz-Polizei» könnte hier mit Fug und Recht einschreiten: Denn «echter», zeitgemäßer, womöglich gar avantgardistischer Piano-Jazz ist das natürlich nicht, was Bugge Wesseltoft auf seinem neuen Soloalbum macht.
Sondern irgendwie «Crossover». Aber egal: Wie der 53-jährige Norweger hier hauchzarte Versionen von Songs der Beatles («Let It Be») und Rolling Stones («Angie»), von Jimi Hendrix («Angel»), Cat Stevens («Morning Has Broken») oder Bob Dylan («Blowing In The Wind») hintupft, das hat seinen ganz eigenen Reiz.
Vor allem ist es wunderschön, und es beruhigt so ungemein. «Everybody Loves Angels» (ACT) dürfte derzeit das wirkungsvollste Nervenbalsam sein, das man im Jazz-Fach von Plattenläden kaufen kann.
Mit dem Traditional «Es sungen drei Engel» und Johann Sebastian Bachs «Koral» rahmt Wesseltoft am Anfang das eigentlich gnadenlos ausgeleierte «Bridge Over Troubled Water» von Simon & Garfunkel ein. Der Softpop-Klassiker wird mit achteinhalb Minuten besonders ausgekostet - man sollte alle Kitsch-Gedanken einfach mal abschütteln und sich in diese Schwelgerei versenken.
Ähnlich kunstvollen Wohlklang gewinnt der Meisterpianist danach auch den anderen Preziosen der populären Musik bis hin zu Bruno Mars' «Locked Out Of Heaven» ab. Es ist ein Sound der Entschleunigung, die sich nicht um Stil-Grenzen schert.
Das von ACT-Gründer und -kopf Siggi Loch zusammen mit Wesseltoft produzierte, im Februar in einer norwegischen Holzkirche der Lofoten aufgenommene Album knüpft an eine schon 20 Jahre zurückreichende Kollaboration der beiden an. Damals erschien die Einspielung «It’s Snowing On My Piano».
Wesseltoft wollte als Gegner der kommerzialisierten Weihnachten «ein Stück Musik aufzunehmen, das wieder Ruhe in eine sonst immer lauter werdende Zeit bringen sollte», erzählt Loch. Daraus wurde das später mit Platin ausgezeichnete, meistverkaufte Album in der Geschichte von ACT. Der Ort der Recordings zu «Everybody Loves Angels» hat Wesseltoft nun aufs Neue zu einem anmutigen, äußerst ruhigen Soloalbum angeregt.
«Die Natur ist für mich über die Jahre zu einer immer wichtiger werdenden Inspiration geworden», sagt der Norweger. «Hier erlebe ich immer wieder Momente, in denen ich fühle, Teil etwas Größeren zu sein. Kein Ort fühlte sich für diese Aufnahme natürlicher an als die Lofoten. Eine wunderschöne und zugleich auch harsche Gegend und ein ebensolches Leben, wie für meinen Urgroßvater, der hier geboren wurde.»
Sein deutsches Label nennt die elf neuen Wesseltoft-Tracks «eine Musik gewordene Antithese auf die Zapping-Mentalität unserer Zeit». Kann man so sagen. (dpa)
Bugge Wesseltoft ist ein Grenzgänger und gilt als einer der innovativsten Jazz Pianisten der Gegenwart. Seine Kollaborationen mit DJs wie Henrik Schwarz und Experimente mit elektronischer Musik machten ihn weit über die Jazz-Szene hinaus bekannt. Im Dunstkreis der überaus progressiven Jazz-Szene Norwegens um Musiker wie Nils Petter Molvær oder Eivind Aarset wurde Wesseltoft mit Beginn der 90er Jahre zu einem führenden Kopf in einer radikalen Neukonzeption von Jazz. „New Conceptions of Jazz“ nannte er sein wegweisendes Projekt, bei dem er House, Techno, Ambient und Noise Elemente in den Jazz mit teils freien Improvisationen einfließen ließ. Wesseltofts lyrisches und melodisches Spiel bleibt aber stets im Zentrum seiner Kunst. Und mit eben dieser Facette hat er sich ganz besonders auf ACT einen Namen gemacht: Das Weihnachtsalbum „It’s Snowing On My Piano“ von 1997 präsentiert ihn Solo in einem intimen, akustischen Rahmen. 2012 erschien gewissermaßen die Fortsetzung dieser besonderen, ästhetischen Linie in Wesseltofts Wirken: Das in Zusammenarbeit mit dem klassischen norwegischen Geiger und Bratscher Henning Kraggerud entstandene Album „Last Spring“. Auch auf diesem Album findet sich ein Rückgriff auf norwegische Volksweisen, aber auch auf klassische Werke – etwa von Edvard Grieg – die in getragene, minimalistische Meditationen führen. (Pressetext)
Das letzte Mal, als von Norwegen entscheidende Impulse für die Jazz-Welt ausgingen, waren Musiker wie Jan Garbarek oder Terje Rypdal beteiligt. Das war Anfang der 70er. 30 Jahre später hat eine Generation das Zepter übernommen, die mit Funk, Fusion, Rock'n'Roll und ethnischer Musik aufgewachsen ist. Die Erneuerer heißen heute Nils Petter Molvaer, Rebekka Bakken, Sidsel Endresen und Bugge Wesseltoft. Ihr Verständnis von Musik hat keinen Respekt vor der Zukunft. Sie setzen sich mit Coltrane-Transkriptionen ebenso auseinander, wie mit der Gebrauchsanleitung für Sampler.
Einer der führenden Köpfe im Vorder- wie im Hintergrund ist Bugge Wesseltoft. Auf seinem Label Jazzland hat er für die Szene eine Plattform geschaffen, die künstlerische Freiheit als Arbeitsbasis voraussetzt. Aber auch an der Front kämpft Bugge mit. Außergewöhnlich authentisch, individuell und intim präsentiert er sich im Duo mit Sidsel Endresen. Ihre filigranen Kompositionen überzeugen auf CD ebenso wie live.
Sein Projekt "New Conception Of Jazz" kümmert sich darum, den musikalischen Stumpfsinn aus den Clubs zu verbannen. Mit 4-To-The-floor-Beats, Improvisationen, DJs und Jazz-Changes überzeugt er die Generation X. "Meine Generation und die jüngeren Musiker haben erkannt, dass es möglich ist, künstlerische Eigenständigkeit zu bewahren und trotzdem Anerkennung zu finden. Diese Einstellung ist vielleicht in Norwegen stärker ausgeprägt als anderswo. Man braucht nur nach Dänemark zu gehen, dort sind 95% aller Musiker stark an dem orientiert, was in Amerika passiert."
Drehscheibe für die Aktivitäten bildet der Club Bla in Oslo, das norwegische Äquivalent zur Knitting Factory in New York. Hier treffen sich die Protagonisten der Dance-, Elektronik- und Jazzszene um ihre Erfahrungen und Visionen auszutauschen. "Die hiesige Szene ist sehr offen. Schon in den 80ern gab es starke Verbindungen zwischen der Folk-Szene und dem Jazz. Heute findet ein größerer Austausch zwischen der elektronischen und der Jazz-Szene statt, was ich persönlich viel interessanter finde."
Was ihn in seiner künstlerischen Arbeit vorantreibt, ist die Neugier. Jazzthing bringt es auf den Punkt: "An Wesseltoft beweist sich einmal mehr, dass Neugier der beste Motor für kontinuierliche künstlerische Äußerungen ist, alle Virtuosität jedoch nicht mehr als ein Werkzeug, dessen Handhabung sich für einen Musiker von selbst versteht."
Mit dem Album "Film'ing" schließt Bugge Wesseltoft 2004 die Akte 'New Conception Of Jazz', um seiner Neugier neue Befriedigung zu verschaffen. "Es ist das letzte Studioalbum, das ich mit diesem Projekt mache", sagt Bugge, der im selben Atemzug eingesteht, dass sich die Elektro-Jazz-Bewegung mittlerweile ein wenig totgelaufen hat.
"Im Moment denke ich, dass dies das Beste ist, was ich mit diesem Konzept erreichen kann. Ich muss mich erneuern." Für die Zukunft schwärmt er von arabischer, persischer und türkischer Musik, die seine Vorlieben für Jazz und Laptops in neue Dimensionen geleiten sollen. Erste Anzeichen davon sind in "Film'ing" zu hören, etwa wenn der tunesische Gastmusiker Dhafer Youssef seine Stimme erhebt.
Doch Bugge Wesseltoft verfolgt viele Konzepte, um den Puls der Zeit mit zu gestalten. "Ich wollte die Schönheit des Pianos herausstellen. Vor ein paar Jahren habe ich mir einen Steinway-Flügel gekauft, der einfach so unfassbar schon und warm und gut klingt", kommentiert er sein 2007er Soloalbum "IM". Darauf lotet er gekonnt die gültigen Ambientgrenzen mit seinem Steinway aus und verpflichtet für zwei Songs die samische Sängerin Mari Boine als Vokalistin.
2012 präsentiert Wesseltoft waschechte Jazzclassiker wie zum Beispiel "Moon River" oder "My Foolish Heart" in Eigeninterpretation. Das Album trägt den schlichten Titel "Songs" und ist für ihn zum wiederholten Mal eine Möglichkeit zu beweisen, dass er ein vielfältiger Jazzpianist ist. (www.laut.de)
https://www.actmusic.com/Kuenstler/Bugge-Wesseltoft