Sechs Jahre sind vergangen seit Live, der letzten Veröffentlichung von Nik Bärtsch’s Ronin. Verkürzt wurde die Pause 2015 durch Continuum, eingespielt von Bärtschs Akustikprojekt Mobile. „Ich wollte Ronin Ruhe und Raum geben, um sich weiterzuentwickeln“, erklärt der Schweizer Komponist und Pianist. „Keinen Druck ausüben und vor dem nächsten Album alle Schritte gehen, die es braucht.“
Awase, aufgenommen im Oktober 2017 im Studio La Buissonne in Südfrankreich und produziert von Manfred Eicher, ist in zweierlei Hinsicht eine Positionsbestimmung: Es zeigt, welche Fortschritte eine der derzeit einfallsreichsten Bands gemacht hat, aber auch den derzeitigen Stand der „Ritual Groove Music“, Nik Bärtschs Universalbegriff für das von ihm erfundene, im Grenzgebiet von Jazz, Funk und Contemporary Composition angesiedelte Idiom. Rituale brauchen jedoch immer Zeit, und bei Ronin waren zwei Personalwechsel zu verarbeiten. 2011 trat Bassist Thomy Jordi an die Stelle von Björn Meyer, und im Jahr darauf verließ Perkussionist Andi Pupato die Band, die sich als Quartett neu definierte – als neues, schlankeres und damit beweglicheres Kollektiv.
Bärtsch spricht von neu gewonnener Freiheit und Flexibilität bei der Annäherung an das Material, „mehr Transparenz, mehr Interaktion, mehr Spaß bei jedem Auftritt“. Diese Freiheit zeigt sich auch darin, dass neben neuen Kompositionen – erstmals ist auch ein Stück des Klarinettisten/Saxophonisten Sha dabei – zwei ältere Bärtsch-Module neu aufgelegt werden: „Wir haben viel am neuen Repertoire gearbeitet, immer wieder an den Details und der großen Dramaturgie gefeilt.“
Awase ist ein Begriff aus dem Aikido und bedeutet soviel wie „gemeinsames Bewegen“ im Sinne sich ergänzender und verschmelzender Energien – eine passende Metapher für die dynamische Präzision, die kunstvoll verschränkten Grooves und den graziösen Minimalismus, der Ronin heute auszeichnet. In der alten Besetzung ließ Bärtsch häufig Björn Meyers üppigen sechssaitigen Bass eine Führungsrolle übernehmen. Thomy Jordis Viersaiter wird eher in die Struktur der Stücke eingewoben und erfüllt im kreativen Schulterschluss mit Kaspar Rasts kraftvollem Schlagzeugspiel eine traditionellere Bassfunktion. Und weil auch Bärtsch weniger solistisch unterwegs ist, erhält der Hörer die Chance, die Band-Interaktion intensiver und ganzheitlicher zu erleben.
Das Album beginnt mit einer verkürzten Version von „Modul 60“, die ganz anders klingt als bei Mobile. „Für uns war es immer so, dass viele Kompositionen von beiden Bands – Mobile und Ronin – gespielt werden können, weil dabei unterschiedliche Aspekte der Musik hörbar werden. Als wir ‚60‘ mit Mobile aufnahmen, hatte ich einen kammermusikalischen Sound im Ohr, und das Stück verbreitete eine irgendwie bittersüße Stimmung. Mit Ronin hat es etwas Karges, Leeres und Archaisches, das mir ausnehmend gefällt. Manfred und ich fanden, es wäre schön, es wie ein ‚Zitat‘ klingen zu lassen, um die Geschichte ab Continuum weiter zu schreiben. Deshalb beginnt aus dem Nichts in der Mitte des Stücks.“ „Modul 58“ basiert – in Ronin-Begriffen – „auf einem einfachen, zyklischen Muster, 5 gegen 7, sogar mit demselben Motiv, was sich dann aber formal interessant entwickelte. Man denkt immer, Metrum, Rhythmus und das Stück selbst müssten ‚auf eins‘ anfangen, aber in vielen Musikkulturen, die uns ansprechen, gibt es keinen so klaren Downbeat – es gibt mehrere „Einsen“, die das Stück in Balance halten. ‚58‘ wird zu einer Art metrischem Mantra, das sich kontinuierlich auflädt, bis es im offeneren Teil zur Ekstase kommt. Man hört die Einfachheit beider Rhythmen, kriegt sie aber kaum zusammen. Das Stück fühlt sich in seiner Energie und der Richtung, in die es geht, für mich futuristisch an, obwohl es etwas Archaisches hat.“ Bassklarinettist und Altsaxophonist Sha (geboren als Stefan Haslebacher) spielt bei Ronin eine immer wichtigere Rolle, was sich auch daran zeigt, dass mit „A“ diesmal eine seiner Kompositionen dabei ist und als kontrastierende Überleitung zwischen „Modul 58“ und „Modul 36“ ebenso gut funktioniert wie als eigenständiges Stück.
Nik Bärtsch: „Wenn Ronin es spielt, gewinnt es eine enorme Kraft und zeigt für mich, dass Sha als Komponist eine persönliche, unverkennbare Handschrift entwickelt.“ „Modul 36“ ist ein alter Ronin-Favorit, mit dem sich die Band 2006 bei ECM-Hörern vorstellte: „Wir haben uns bewusst entschieden, dieses Stück zu nehmen und das Quartett- Album damit auch als eine Art Neubeginn zu markieren. Und zu zeigen, wie sich die Musik und das Zusammenspiel entwickelt haben. Was die Struktur betrifft, die feinen Details, die kompositorischen Aspekte – da hat sich nichts geändert. Aber das Gruppengefühl ist ganz anders und die Energie Voodoo-artiger. Und es passt zum aktuellen Sound, wenn das Klavier auf ‚36‘ wieder mehr als Teil der Band agiert und nicht als Solist.“ Geschrieben „in Japan 2003“, feiert „Modul 34“ erst hier seine Aufnahme-Premiere. „Manchmal müssen Stücke einfach warten, bis sie – oder wir – soweit sind. Die Herausforderung bei ‚34‘ bestand darin, seine formale Qualität in natürliche rhythmische Energie umzusetzen.“
Die Mitglieder von Ronin treffen sich seit vierzehn Jahren jede Woche, um in Workshops und bei Auftritten im Züricher Club Exil gemeinsam die Potenziale von Bärtschs Stücken und dem Working-Band-Konzept auszuloten. Bei dem anspruchsvollen letzten Stück auf diesem Album, „Modul 59“, sei dieser Prozess noch live im Gange, sagt Nik, und hier würden Weichen für die Zukunft gestellt: „Es beginnt mit einer grundsätzlichen Idee, basierend auf Triolen gezählt in 5er Einheiten, aus denen allmählich ein polyrhythmischer, polyphoner Klangteppich entsteht. Wir haben das Stück schon sehr viel gespielt und weiterentwickelt, aber es überrascht uns noch immer.“ (Pressetext)
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