So 3. November 2019
20:30

The Tiger Lillies 'The Devil’s Fairground – 30th Anniversary Tour' (GB)

Adrian Stout: bass, musical saw, theremin, vocals
Martyn Jacques: vocals, accordion
Jonas Golland: percussion

Die Gosse ist ihr abseitiges Paradies
Die Tiger Lillies in der Höchstform ihres Lebens: Im Porgy & Bess besangen sie Sex, Tod und Absinth.

2019 feiern sie ihr 30-jähriges Bestehen. Genauso lang haben The Tiger Lillies ihr Publikum furchtlos an finsterste Orte, ja an die Pforte der Hölle gebracht. Und so begann auch ihre Performance im knallvollen Porgy & Bess. Schwungvoll, fast euphorisch, ging es mit „Devil's Fairground“ auf den Jahrmarkt des Diabolus. Das Lied erzählt von einem Selbstmord, aus der Perspektive eines Teufels, der sich als klandestiner Altruist seine Gedanken macht. „I wonder if for you in the darkness was hope“, flötete Martyn Jacques in hingebungsvollem Falsett. Das Gesicht clownesk geschminkt, um den Hals Tüll, vor dem Latz eine Quetsche. Schlagzeuger Jonas Golland spielte zu Beginn mit einer Maske, später hatte er einen Apfel im Mund. Und der stets in Karo gewandete Bassist Adrian Stout spielte allerlei Gerät von Säge bis Theremin.

Auf Letzterem, einer Erfindung des in den USA lebenden Russen Lew Termen, erzeugte Stout einzigartige Effekte. Er hustete ins elektromagnetische Feld zwischen den Antennen, auf denen man in der Regel händisch herumfuhrwerkt. Das Repertoire bestand zu einem guten Teil aus Liedern des neuen, im Februar erscheinenden Albums „Devil's Fairground“, aufgenommen mit einem 32-köpfigen Orchester in Prag.

Viel Toxisches wird hier getrunken
Wie schon das Opus „Cold Night in Soho“ gezeigt hat, sind die Tiger Lillies in der Form ihres Lebens. Die Rhythmen fahren in die Magengrube, die Melodien gehen runter wie bitter-süßer Averna. Toxische Flüssigkeiten schlucken auch viele Songprotagonisten. Stupor fürchten sie nicht. Nicht einmal das Ausgesackeltwerden.

Maliziöse Metaphern und metikulöse Milieuschilderungen sind das Herz einer Kunst, die die Gosse als abseitiges Paradies interpretiert. „Heroin, Heroin and Cocaine“ stand auf den T-Shirts am Merchandisestand. Die Lieder dazu hießen simpel „Drugs“ oder „Destruction“. Weil's eh egal ist. Ob man glücklich ist oder nicht, am Ende lauert der Tod. „The storm will blow, your beauty fade, Father Time, he must be paid“, hieß es in „Cut“ in genialer Kürze. „All your throats will be cut!“, flüsterte Jacques wolllüstig ins Mikro. Das Publikum lachte. Ein besonderes Gustostückerl war „Is That All There Is?“, ein Lied, das die Elvis-Presley-Komponisten Leiber & Stoller einst für Peggy Lee nach Motiven ihrer wilden Kindheit komponiert hatten. Auch in diesem Song herrscht eine Pfeif-drauf-Mentalität. Das Wohnhaus brennt gerade ab, also feiert man das Leben. Standing Ovations!

(Samir H. Köck "Die Presse", 17.12.2018)