So 15. September 2019
20:30

KUU! 'Lampedusa Lullaby – Goes on!' (D)

Jelena Kuljić: vocals
Kalle Kalima: guitar
Frank Möbus: guitar
Christian Lillinger: drums

KUU! hat richtig gute Songs, die sich voller Emotionalität einfräsen und festhaken. Was diese Band in der deutschen Musiklandschaft so besonders macht, ist ihre spezielle künstlerische Chemie, gepaart mit einer Eindringlichkeit im künstlerischen Vortrag. Die nie um kreative Ideen verlegene Männerbande Kalle Kalima, Frank Möbus (beide Gitarre) und Schlagzeuger Christian Lillinger bilden das gestalterische, energetische Rückgrat für die ausdrucksstarke Sängerin Jelena Kuljić.

Die 1976 in Serbien geborene Kuljić verließ nach dem Bürgerkrieg ihre Heimat. Daheim hatte sie als ungestümer Punk begonnen, dann studierte sie Jazzgesang in Berlin und bekam hier diverse Kontakte zur Szene. Als Schauspielerin ist sie festes Mitglied der Münchner Kammerspiele. Als Vokalistin ist sie hochenergetisch und wie ein krasses Naturereignis. Egal, was sie macht, sie ist da wie ein klarer Strahl. Und der umkreist präzise und durchsetzungsstark die Kerne der Dinge. Die Authentizität des Erlebten gibt ihren Botschaften eine tiefer gehende Glaubhaftigkeit.

Thematisch weit gefächerte Texte basieren auf Beobachtungen unserer Gegenwart. Surrealistisches, Utopisches, dann wieder auch Komisches bestimmen ihre Poesie, doch Jelena Kuljić illustriert das nicht nur. Mit unglaublicher Wachheit performt sie, was nach Ausdruck drängt. Mal tut sie das mit Punk-Attitüde, mal in psychedelischem Schwelgen, mal pseudonaiv, dann wieder enorm druckvoll und stets mit geballter Präsenz. Sie kann provokant und schalkhaft sein, verrucht und verrutscht, heiser und heiter.

Von endlosen nächtlichen Reisen über die schwarzäugige See ist die Rede, von menschlicher Fracht auf einem Ocean Queen genannten Schiff, von der Aschewolke über Island, von Verlorenheit und ungewissen Tagesanbrüchen, von der Fremde und von Vergangenheiten, die wie Dia-Shows aus anderen Leben sind.

Lampedusa ist längst nicht mehr nur eine Mittelmeerinsel zwischen Tunesien und Sizilien. Es wurde als konkreter Ort der Schlepper und Migranten, des grenzgängerischen Todes und der Illegalität zur Metapher eines massenhaften kriminellen Geschäfts mit individuellen Schicksalen und des Versagens der traditionellen Politik vor neuen Herausforderungen. Jelena Kuljić singt davon.

KUU! ist eine Band der Superlative, ein exponierter Vertreter eines neuen europäischen Jazz mit großem Innovationsgeist. Auf „Lampedusa Lullaby“ führt das Quartett messerscharf vor, wie Rockmusik heute funktionieren kann. Dabei geht es um kollektiven Ausdruck und nicht um Selbstdarstellung oder gar Kompetition. Hier wird nicht gefrickelt und gegniedelt, hier geht es gemeinsam zur Sache. Rechts und links vom enorm Druck machenden Schlagzeug verschmelzen die beiden Gitarren zu einem ebenso gigantischen wie sensiblen Meta-Instrument.

Einfach gute, mit Nachdruck beschwörende Musik jenseits der Schubladen entsteht so. Es hilft wenig, Zappa oder Nina Hagen als Referenzpunkte aufzurufen. Man sollte das stattdessen laut und vorurteilsfrei hören ohne den Blödsinn vorgefertigter Definitionen. Das redet, weil es etwas zu sagen hat, und weist so einen Ausweg aus allgegenwärtigen Sackgassen.

Die Musik auf „Lampedusa Lullaby“ ist von unglaublicher Kraft. Sie rüttelt auf, macht Zusammenhänge sinnfällig, erreicht gleichermaßen Beine, Kopf und Seele. Sie ist filigran, kompakt und auf der Höhe der Zeit. Mal legen drei verschworene Individualisten ihrer Sängerin Kuschelflächen, dann wieder Nagelbretter. Die Leichtigkeit und das Eingängige dieser Musik sind minutiös erarbeitet. Live wächst diese Musik ins Phänomenale, wenn die theatralische Kunst der Jelena Kuljić von dieser fintenreich losgehenden Band umflirtet, kommentiert und gesteigert wird. (ACT-Music)