Anna Maier Solo
postponed !
Anna Maier: piano
Musik von:
Domenico Scarlatti (1685-1757)
Sonate in d-Moll K. 9
Sonate in G-Dur K. 13
Joseph Haydn (1732-1809)
Sonate für Klavier in As-Dur, Hob. XVI: 446
1.Allegro moderato
2. Adagio
3. Finale: Presto
Robert Schumann (1810-1856)
Carnaval Op. 9
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• »Die praktischen Anliegen des systematischen Denkens und die spekulativen Möglichkeiten des schöpferischen Instinkts im Gleichgewicht zu halten wird die schwierigste und wichtigste Aufgabe Ihres Lebens in der Musik sein…«
Glenn Gould
(Auszug aus einer Rede, gehalten am Royal Conservatory of Music, University of Toronto, November 1964)
Diese von Glenn Gould definierte wichtigste Aufgabe des Lebens existierte schon immer, wird immer existieren. Auch für Robert Schumann, welcher den inhaltlichen Schwerpunkt des Klavierabends von Anna Maier bildet, war dieses herzustellende Gleichgewicht eine ihn stets gefährdende Angelegenheit. Familienvater & Freigeist, Pädagoge & musikalischer Reformer, Bewahrer künstlerischer Traditionen & und radikaler Neutöner seiner Zeit: viele heterogene Aspekte eines schöpferischen Seins, viele nicht nur in monetärer Hinsicht (über)lebensnotwendige praktische Anliegen mussten erkannt, berücksichtigt, umsorgt, entwickelt, vermarktet und bewältigt werden.
Robert Schumann: Pianist, Komponist, Dirigent, Städtischer Musikdirektor, Pädagoge, Musikkritiker, Literat, Herausgeber und Redakteur einer Musikzeitschrift.
Robert Schumann: leidender wie leidenschaftlicher Ehegatte von Clara Schumann, eine der erfolgreichsten Konzertpianistinnen ihrer Zeit. Gemeinsam durften/mußten/sollten sie für acht (8) Kinder Sorge tragen.
Robert Schumann: nach einem gescheiterten Suizid 1854 als Patient mit der Diagnose „Melancholie mit Wahn“ in eine "Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren“ eingeliefert. Dort verstarb er im Juli 1856, niemand war zugegen.
Mit all diesen beruflich/privaten Anforderungen, Verpflichtungen und Voraussetzungen spiegelt Schumanns professioneller Werdegang eines „frei“ schaffenden Musikers bereits im Zeitalter der „Romantik“ (einer Epoche der Bürger des Biedermeier, der im Kleinbürgertum gepflegten Hausmusik, der großbürgerlichen „Salons“ einer kunstsinnigen Bourgeoisie und des vereinsmäßig organisierten gemeinsamen Musizierens) die komplexe als auch zumeist tragisch verlaufende Genese vieler Musikerschicksale unserer Gegenwart, der sogenannten „Moderne“.
Zu bewundern, bestaunen und zu entdecken ist heute Abend u.a. Schumanns wegweisende Klavierkomposition CARNAVAL, komponiert in den Jahren 1834/35: ein wildzartschattenfeuriger Zyklus von Tanz- und Charakterstücken mit fiktiven Figuren aus Schumanns „Davidsbund“, einer exquisiten Denk- und Traumloge für musikalischen Fortschritt und hohen Kunstanspruch.
Illustre Gestalten aus der Comedia dell’arte als auch Hommagen an reale Komponistenkollegen komplementieren die atem(be)raubende Szenerie.
Klaviermusik der (deutschen) Romantik vom Feinsten: raffiniert & archaisch, liedhaft & tumultuös ein klugfrecher Protestmarsch gegen jedwedes Philistertum und somit ungemein aktuell.
Das alles und vieles andere (auch D. Scarlatti & J. Haydn waren und sind (nicht nur) kompositorische FREIGEISTER) kann der/die geneigte HörerInn heute Abend lustvoll nach-, ab-, an- & erhören: die jungfamose Pianisten Anna Maier, an der über dem Linzer Donauwasser gelegenen BrucknerAnstalt (mehr als) profund ausgebildet, hat u.a. ein tief- wie feinsinniges Programm zum Prinzip wesentlicher Dinge erstellt, frei nach Novalis:
»Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn,
dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen,
dem Bekannten die Würde des Unbekannten,
dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe,
so romantisiere ich es.«
Herzlich Willkommen!
(Renald Deppe)
p.s.: aus aktuellem Anlass seien dem geneigten Leser noch folgende aktuelle Gedanken nicht vorenthalten:
»Die Romantik ist eine glänzende Epoche des deutschen Geistes, mit großer Ausstrahlung auf andere Nationalkulturen. Die Romantik als Epoche ist vergangen, das Romantische als Geisteshaltung aber ist geblieben. Es ist fast immer im Spiel, wenn ein Unbehagen am Wirklichen und Gewöhnlichen nach Auswegen, Veränderungen und Möglichkeiten des Überschreitens sucht.
Das Romantische ist phantastisch, erfindungsreich, metaphysisch, imaginär, versucherisch, überschwänglich, abgründig. Es ist nicht konsenspflichtig. Es braucht nicht gemeinschaftsdienlich, ja nicht einmal lebensdienlich zu sein. Es kann in den Tod verliebt sein. Das Romantische sucht die Intensität bis hin zu Leiden und Tragik. Mit alledem ist das Romantische nicht sonderlich für Politik geeignet. Wenn es in die Politik einströmt, sollte es mit einer kräftigen Zugabe von Realismus verbunden sein. Denn Politik sollte sich auf das Prinzip der Verhinderung von Schmerzen, Leid und Grausamkeit gründen. Das Romantische liebt die Extreme, eine vernünftige Politik aber den Kompromiss.
Wir brauchen beides: Die Abenteuer der Romantik und die Nüchternheiten einer abgemagerten Politik. Wenn wir die Vernunft der Politik und die Leidenschaften der Romantik nicht als 2 Sphären begreifen und als solche zu trennen wissen, wenn wir statt dessen die bruchlose Einheit wünschen und uns nicht darauf verstehen, in mindestens 2 Welten zu leben, dann besteht die Gefahr, dass wir in der Politik ein Abenteuer suchen, das wir besser in der Kultur finden, oder dass wir, umgekehrt, der Kultur dieselbe soziale Nützlichkeit abfordern wie der Politik.
Wünschenswert ist aber weder eine abenteuerliche Politik noch eine politisch korrekte Kultur.
Die Spannung zwischen dem Romantischen und dem Politischen gehört zu der noch umgreifenderen Spannung zwischen dem Vorstellbaren und Lebbaren. Der Versuch, diese Spannung in eine widerspruchsfreie Einheit zu führen, kann zur Verarmung oder zur Verwüstung des Lebens führen. Das Leben verarmt, wenn man sich nichts mehr vorzustellen wagt über das hinaus, was man auch leben zu können glaubt. Und das Leben wird verwüstet, wenn man um jeden preis, auch den der Zerstörung und Selbstzerstörung, etwas leben will, bloß weil man es sich vorgestellt hat.
Das eine mal verarmt das Leben, weil das Vorstellbare aufgegeben wird um des lieben Friedens willen, das andere mal zerbricht es unter der Gewalt, mit der das Vorstellbare ohne Abstriche verwirklicht werden soll. Beides mal hält man den Widerspruch zwischen dem Vorstellbaren und Lebbaren nicht aus und will ein Leben aus einem Guss. Ein solches Leben aber ist doch wohl nur ein romantischer Traum.«
Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, Hanser 2007, ISBN-10: 3-446-20944-1 (Auszug)