Thu March 23, 2006
21:00

Wolfgang Puschnig „Alpine Aspects“ (A/D/USA)

Wolfgang Puschnig: saxophone, flute
Linda Sharrock: vocals
Herbert Joos: trumpet, fluegelhorn
Jamaaladeen Tacuma: bass
Reinhardt Winkler - drums
Amstettner Musikanten unter der Leitung von Robert Pussecker

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„Es hat schon einer gewissen Gewöhnungsphase bedurft. Je öfter wir das Programm gespielt haben, desto mehr hat es auch die Blasmusiker angesprochen. Während ich bei der ersten Probe auf sie wie jemand von einem anderen Stern gewirkt haben muss“.
Wolfgang Puschnigs Erinnerung an die Begegnung von ihm, dem Jazzer, und den Volksmusikanten der Amstettner Blaskapelle besitzt zweifellos Indizcharakter: Ja, es waren zwei musikalische Welten, die da im Jahr 1991 unter dem Projekttitel „Alpine Aspects“ aufeinander prallten, zwei gerade in Österreich hermetischer als anderswo separierte Genres, deren Distanz nicht zuletzt historisch-ideologischer Natur war und ist. Trotzdem hierzulande seit Ende der 80er Jahre im Sog der sogenannten „Neuen Volxmusik“ manche Barriere zu Pop und Jazz durchbrochen wurde, obwohl insbesondere Wolfgang Puschnig sich mit seinem Solo-Debüt „Pieces of a Dream“ von 1988 nonchalant als in der Tradition des Kärntnerlieds verwurzelter Saxophonist geoutet hatte, stand und steht „Alpine Aspects“ bis heute wie ein massiger, erratischer Block in Österreichs Musiklandschaft. Ein brillanter Meilenstein nicht nur im Schaffen Puschnigs, sondern des europäischen Jazz insgesamt, so sei in aller Subjektivität festgestellt, ein Projekt, das hierzulande freilich mancherorts Ratlosigkeit hinterließ, während anderswo – von Tango Nuevo bis New Musette, wie bedingt „Alpine Aspects“ damit auch vergleichbar scheinen mag – ähnliche Ansätze zu Erneuerung und Brückenschlag auf ungleich größere Resonanz stießen.
„Ich habe diese Idee schon jahrelang mit mir herumgetragen“, so Puschnig, „Mir hat dieser Bläser-Klang seit meiner Kindheit gefallen. Weniger die zackigen Märsche als vor allem die Begräbnis- und Prozessionsmusik, Trauermärsche und Hymnen.“ Zwei Jahre nach dem Ausstieg aus dem „Vienna Art Orchestra“ und dem Beginn der erfolgreichen Solo-Karriere, während Puschnig bereits mit den südkoreanischen Perkussionisten von „Samul Nori“ und dem fulminanten Duo mit Jamaaladeen Tacuma Triumphe feierte, thematisierte der damals 35 Jahre junge Musikus erneut seine musikalischen Wurzeln. In Robert Pussecker, in den 70ern Studienkollege in der Jazzsaxophonklasse des Konservatoriums der Stadt Wien, seit 1979 Kapellmeister im niederösterreichischen Städtchen Amstetten, fand er dafür einen kongenialen Partner: „Wir haben aus logistischen Gründen die kleinstmögliche Besetzung gewählt, in der man den Klang einer Blasmusikkapelle produzieren kann. Ich wollte das traditionelle Idiom erhalten, aber die Musik gleichzeitig auch vom Ablauf her möglichst offen gestalten. Pussecker konnte als Dirigent manche Teile zu beliebigen Zeitpunkten bringen. Für mich als Solist war es ideal, von diesem Klang – und den oft überraschenden Einsätzen der Kapelle - getragen zu werden. Kein Konzert glich dem anderen.“
Bei allem ehrlichen Respekt erfolgte Puschnigs Annäherung keineswegs schüchtern: Das „Alpine Aspects“-Programm zeugt in seiner prallen, mitreißenden Vitalität von lustvoll ausgelebter Musizierfreude. Einerseits in den wuchtigen, satten Bläsersätzen, die, harmonisch dissonant verdichtet und zu immenser Farbenpracht aufblühend, auch rhythmisch auf vertrackte Geleise gelenkt werden, während sie melodisch gewohnt dreiklangsfreudige Wege gehen. Und auch die Jazzer kommen - andererseits - zu ihrem Recht, erden in Jamaaladeen Tacumas unnachahmlich fetten Bass-Linien und Thomas Alkiers kraftvollen Grooves das brodelnde, funkensprühende musikalische Gemenge in knackiger, tiefschwarzer Funkyness, während Linda Sharrock ihre expressive, dunkle Alt-Stimme frei durch den Raum fliegen lässt. Lyrische Stimmungsbilder alpiner Landschaften wie „We Reach For the Sky“, mit immer wieder schroff aufsteigenden Gebirgsformationen als assoziativen Schlaglichtern, alternieren mit Stücken, in denen marschrhythmische Derivate als Vehikel für immens füllige, „harmolodisch“ inspirierte, kontrapunktische Schichtungen dienen. Ja, es waren zwei Welten, die hier aufeinander prallten. Und einander in genialer Weise durchdrangen und befruchteten.
So euphorisch das Ausland über „Alpine Aspects“ jubelte, so geteilt blieben die Reaktionen innerhalb Österreichs. Bezeichnenderweise passierte es im eigenen Land, genauer: beim Salzburger „Heimischquer“-Festival im November 1992, dass Puschnigs Mannen und Frauen vom Publikum - in Erwartung der volkstümlich-kommerziellen „Zillertaler Schürzenjäger“ - von der Bühne gepfiffen wurden. Etwa eineinhalb Dutzend Auftritte erlebte das Programm zwischen Mai 1991 (Moers Festival, BRD) und November 1997 (Queen Elizabeth Hall, London). Das war’s. Ein von Puschnig geplantes Ornette-Coleman-Album in derselben Besetzung wurde nicht realisiert. Das Projekt ist bis heute ohne Nachfolge geblieben. Vielleicht, weil die Zeit für ein derart kühnes Unternehmen doch noch nicht gänzlich reif war. Vielleicht freilich auch, weil Wolfgang Puschnig mit dieser Arbeit nicht nur ein erstes Experiment, sondern gleich ein ultimatives, in jedem Ton bis heute gültiges, von elektrisierender Energie erfülltes Meisterwerk vorgelegt hat. „Alpine Aspects“, das man vielleicht schon in zehn Jahren als eine der bedeutendsten österreichischen (Jazz-)Produktionen des vergangenen Jahrhunderts erkennen wird, ist nicht zufällig auch eine von Puschnigs persönlichsten Arbeiten. Gewidmet dem in eben jenem Jahr 1991 verstorbenen Großvater, dem Mann, dessen Lieder im Kärntner Saxophonisten jene Affinität zu kantabler Melancholie reifen ließen, die ihn heute als unverwechselbaren Solisten von europäischem Format ausweist. „Wenn ich ihn gefragt habe, warum er immer diese traurigen Lieder singt, hat er geantwortet: ‚Die lustigen merke ich mir nicht.’“ (Andreas Felber)