Sun April 16, 2006
21:00

Lauren Newton & Aki Takase Duo „Spring in Bangkok“ (USA/D/J)

Lauren Newton: vocals
Aki Takase: piano

Sorry this part has no English translation

Laut – Sinn – Klang. Wer jagt hier wen, was wird hier verhandelt? Tief- und Unsinn, flüchtiges Geschnatter, arienähnliche Dramatik, triviales Kreischen, Luftschnappen als schöne Kunst zelebriert, Tönen als Lebensmitteilung: Lauren Newton und Aki Takase.
Sie entsprechen und widersprechen einander mit Klängen, Lauten, Silben, Wörtern. Sie dialogisieren in Phantasiesprachen, tauchen ab in die Bereiche tiefer Emotionen und fliegen davon in die abstrakten Gefilde der Sounds. Und nicht zu vergessen: sie haben etwas, das nicht nur in der improvisierten Musik, sondern ganz allgemein in der Kunst selten geworden ist, weil es sich dem Kalkül entzieht: sie haben Humor. Nicht zu verwechseln mit einem schnellen Witz, auch nicht mit einer geistreichen Pointe, entspringt diese Art von Humor dem souveränen Umgang mit den Prozessen spontaner Klangproduktion und der Akzeptanz des so nicht Erwarteten, dem Zugriff des Zufalls. Dabei erweist sich das Ganze weder als geplant noch als zufällig. Die beiden gemeinsame Erfahrung mit Improvisation bildet das Reservoir, aus dem sie spontan zu schöpfen vermögen. Doch die Besonderheit entsteht durch das Zusammentreffen dieser beiden Charaktere.
Fast verwunderlich, dass sie einander nicht schon früher begegnet sind. Trotz unterschiedlicher Akzentuierungen haben sie einiges gemeinsam: Beide sind mit dem Jazz und einer aus diesem herausgewachsenen improvisierten Musik vertraut. Beide haben sich stets für Klangerweiterungen interessiert, die bis in die Grenzbereiche etablierter Genres vorstoßen und auch den Bereich der Neuen
Musik streifen. Lauren Newton hat mit Duo-Partnerinnen wie der Bassistin Joëlle Léandre ein weites Spektrum spontanen Inter-Agierens ausgeschritten und im Dialog mit Patrick Scheyder auch die klanglichen Möglichkeiten der Kombination von Stimme und Piano erkundet. Aki Takase sind die vokal-instrumentalen Verschränkungen bereits seit ihrer Zusammenarbeit mit der Sängerin Maria João vertraut. Und das Duo der Pianistin mit dem Bassklarinettisten Rudi Mahall imaginierte mitunter eine seltsame Sprachnähe wie auch atmosphärische Assoziationen im Umfeld von Charles Mingus bis zu Karl Valentin, dessen Leben und Werk sich wiederum Lauren Newton in einem aberwitzigen Programm mit dem Geiger Jon Rose annäherte. Sprache als Sound und Sound als Sprache, das ist etwas, das Lauren Newton in intensiven Begegnungen mit einem der Vordenker unter den Lautpoeten erfahren hat: mit dem unvergleichlichen Ernst Jandl. Auch Aki Takase kennt die unkonventionellen Bereiche literarisch-musikalischen Zusammenwirkens durch Konzerte/Performances mit der Autorin Yoko Tawada.
Die Gemeinsamkeiten der beiden Protagonistinnen reichen noch weiter: beide haben ihre kulturellen Prägungen – Lauren Newton die in Amerika erfahrenen, Aki Takase die japanischen – mit nach Deutschland gebracht, haben sich hier in eine neue Lebensumwelt eingewöhnt und sind letztlich doch in der internationalen Gemeinschaft improvisierender Musiker und Musikerinnen zu Hause. Lauren Newton hat wiederholt Konzerte in Japan gegeben und ist der japanischen Mentalität auch in der gelebten Gemeinsamkeit mit dem Maler/Zeichner Koho Mori nahegekommen. Aki Takase, die sich gemeinsam mit Alexander von Schlippenbach für das freie Spiel ebenso begeistern kann wie für die Frühformen des Jazz, sieht sich im Duo mit Lauren Newton nicht zuletzt auch in der Tradition der originär improvisatorischen Zusammenarbeit des Pianisten
Alexander von Schlippenbach mit dem als Sänger agierenden Schlagzeuger Sven-Åke Johansson. Spielt in diesem Zusammentreffen der frei improvisierte Text eine wesentliche Rolle, so ist er im Dialog von Lauren Newton und Aki Takase ein Element unter anderen. Gemeinsam wiederum ist beiden Duos eine Skurrilität, die auch noch in jazzfernen Ausdrucksbereichen eine Affinität zu einem Eigensinn offenbart, wie man ihn in scheinbar entfernt liegenden Gegenden antrifft: bei den Dadaisten und im Jazz etwa bei Thelonious Monk. Die eigentliche Dimension der musikalischen Unterhaltungen von Lauren Newton und Aki Takase ist der Klang im Spektrum von kreatürlicher Expressivität bis zu kunstvoller Ausformung.
Bill Evans verglich seine Zusammenarbeit mit Miles Davis einst mit asiatischen Tuschzeichnungen – ein Bild, das gleichfalls für dieses Duo zutrifft. Was an Gestalt entsteht, beruht auf der Eingebungskraft im jeweiligen Moment. Nichts kann mehr korrigiert, wegretuschiert oder hinzugefügt werden. Wellengleich, in Parallel- und Gegenbewegungen entsteht ein Liederzyklus der sehr eigenen Art, der mal einem gemeinsamen Schreiten durch Seelenlandschaften, mal einer Partie Tischtennis der Ideen gleicht und sich immer dialogisch als ein lustvoll gestaltetes und aufregendes Klanggeschehen mitteilt. (Bert Noglik)