Sun March 23, 2008
20:30

Peter Brötzmann / Ken Vandermark / Marino Pliakas / Michael Wertmüller (D/USA/CH)

Peter Brötzmann: tenor saxophone, tarogato
Ken Vandermark: tenor saxophone, clarinet
Marino Pliakas: bass
Michael Wertmüller: drums

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Von Schönheit ist eine subjektive Angelegenheit. Der Jazz, den Peter Brötzmann seit nunmehr über 40 Jahren spielt (er selber spricht eher mit Vorsicht von Free Jazz, aber das Papier verlangt nach einem Etikett), hat mit Wellnessmusik für sinnsuchende Yuppies rein gar nichts zu tun. Brötzmanns Sound schreit Alarm. Alarm auf Saxophon, Klarinette und Tárogató. Das Verb „brötzen“ steht mittlerweile im Duden und wird mit „laut und heftig musizieren“ definiert. Ein Club in Göteborg heißt kurz und knapp „Brötz!“ (mit Ausrufezeichen, versteht sich). Dort dient „Brötz“ dem Publikum als Skala für die Lautstärke. Fünf Brötz, zehn Brötz – gibt es fünfzig Brötz? Verdammt, die gibt es, und zwar auf den Alben des Namensgebers. „Machine Gun“ aus dem mythischen Jahr 1968 übertrifft es sogar. Die kürzlich auf Atavistic Worldwide wiederveröffentlichte Oktettaufnahme mit Willem Breuker, Evan Parker, Fred van Hove, Peter Kowald, Buschi Niebergall (beide verstorben), Han Bennink und Sven-Ake Johansson ist die Art von Platte, die den Putz in großen Klumpen von den Wänden fegt, den Kopf freibläst und die Atome spaltet. Das ist ernstgemeint und sehr schön.
Nicht viel anders geht es auf den unzähligen weiteren Alben des weitgereisten Wuppertalers zu. Wer schon immer den Schlaf der Ungerechten stören wollte, greife beispielsweise zu „The Noise Of Trouble“ (1986) von Brötzmanns Free-Rock-Projekt Last Exit. Gemeinsam mit Sonny Sharrock, Bill Laswell und Shannon Jackson, als Gäste Herbie Hancock und Akira Sakata. Der andere Brötzmann, der doch der eine bleibt, läßt sich zusammen mit Werner Lüdi auf „Wie das Leben so spielt“ (1989) hören. Oder auf „Tales Out Of Time“ (2004), mit Joe McPhee, Kent Kessler und Michael Zerang. Majestätische Alben, auf denen Pausen und Stille genauso ihren Platz haben. Die meisten dieser wahnwitzigen und dabei vernünftigen Platten sind mit Zeichnungen Brötzmanns designt. Von Haus aus ist er Werbegraphiker und Maler, großgeworden mit Fluxus.
Brötzmann ist ein Kind des Zweiten Weltkriegs. Er macht keinen Hehl daraus, daß seine Musik eine politische und soziale Komponente hat. Unsere popartfarbene Zeit nennt er unverblümt grau. Die ökonomische und kulturelle Basis seines Musizierens sieht er in Deutschland immer mehr im Schwinden begriffen. Immer noch ist das, was er tut, zu kühn, zu sperrig für die Oberflächengesellschaft. Interessanterweise hat Brötzmann, wie wenige andere für die europäische Improvisierte Musik stehend, in den letzten Jahren eine wachsende Schar von Fans und Mitstreitern in den USA, speziell in Chicago, gefunden. Fast zwei Handvoll Alben sind mit seinem Chicago Tentet entstanden, eines davon, „Be Music. Night“ (2004) abermals Kenneth Patchen gewidmet, dem Dichter, Maler, Anarchisten und Pazifisten. Im Juli hat Brötzmann ein Konzert in Warschau gegeben, das in seiner Intensität Wodka überflüssig machte. (...) (Robert Mießner)
Heute ist Brötzmann mit einem „Spezialquartet“ im P&B zu Gast, mit seinem Instrumentalkollegen Ken Vandermark, mit dem er u.a. gemeinsam mit Mats Gustafson als Trio Sonore zu überzeugen wusste und den beiden Schweizern Wertmüller und Pliakas. Wie könnte man den Ostersonntag feierlicher beenden? CH