Tue May 20, 2008
20:30

Sylvie Courvoisier „Lonelyville“ (CH/J/USA/F)

Sylvie Courvoisier: piano
Ikue Mori: computer
Mark Feldman: violin
Vincent Courtois: cello
Gerald Cleaver: drums

Sorry this part has no English translation

Im April 2006 rief Sylvie Courvoisier erneut ihre Musikerfreunde Mark Feldman, Vincent Courtois, Ikue Mori und Gerald Cleaver zusammen, um als Quintett an vier Abenden hintereinander im Schweizer Théâtre Vidy-Lausanne aufzutreten. Mehrtägige Livekonzerte dieser Art waren früher eine durchaus übliche Bewährungsprobe für Jazzmusiker in Sachen Improvisation, sind aber inzwischen eine echte Seltenheit geworden. Die Konzertreihe in Lausanne war das ideale Versuchsfeld für Courvoisiers Projekt. Die Konzerte fanden im idealen Zeitabstand voneinander statt, um die Chemie gründlich zu testen. Das Warten hat sich gelohnt, denn mit dem Live-Album Lonelyville setzt Sylvie Courvoisier neue Maßstäbe. Ihre modernen Kompositionen offenbaren eine unglaubliche Sensibilität, weil sie auffällig formal angelegt, gleichzeitig aber speziell auf die Bandmitglieder zugeschnitten sind. Ihr kompositorischer Ansatz beschränkt sich nicht auf die Gestaltung von Beziehungen zwischen einzelnen musikalischen Elementen, sondern erstreckt sich auch auf die Beziehung der beteiligten Musiker untereinander. Die Zusammenführung von Musikern und Material ist im Grunde nichts Neues, doch nur selten hat es jemand geschafft, Kompositionen für derartig unterschiedliche Künstler zu schreiben, wie es Courvoisier mit diesem Projekt gelingt. Ihre Motivation war einfach, denn alle Bandmitglieder sind langjährige Freunde und Kollegen. Dennoch – das Spektrum der Darbietungen von Ikue Mori, Mark Feldman, Vincent Courtois und Gerald Cleaver ist in seiner Breite absolut spektakulär. Ikue Mori arbeitete bereits mit Courvoisier in dem Trio Mephista zusammen, das von Susie Ibarra komplettiert wurde. Die Japanerin erzeugt in einem Moment Klänge wie plätscherndes Wasser, im nächsten Augenblick erinnert ihr Sound an die Hydraulik eines futuristischen Deus ex machina. Vincent Courtois führt sein Cello immer wieder an die äußersten Grenzen – ob er in tückischen Passagen mit hämmernden Fingerspitzen übers Griffbrett fliegt oder mit Leib und Seele Akkorde sägt. Gerald Cleaver ist ein vollendeter Perkussionskünstler: Mal lässt er sich in ein Zwischenspiel mit elastischen Strukturen gleiten, im nächsten Moment holt er mit frenetischem Powerhouse-Drumming den Hammer raus. Und Mark Feldman kann auf der Violine einfach alles. Sylvie Courvoisier spielt als Pianistin eine ebenso zentrale Rolle für dieses Album wie als Komponistin. Ihr Spiel ist genauso abwechslungsreich wie das ihrer Bandkollegen: ruhige, fast andächtige Momente im Wechsel mit einer Intensität, die einem den Atem stocken lässt. Es gibt Pianisten, deren Präsenz sich nur entfaltet, wenn sie Wirbelstürme loslassen, doch Courvoisier hinterlässt ihre Wirkung auch in extrem minimalistischen Momenten. Ihre Spieltechnik ist makellos, aber sie dient stets nur als Mittel zum Zweck, gehorcht sie doch einzig der emotionalen Wahrheit des Augenblicks, den sie wiederum in die Gesamtgestaltung der Komposition einfließen lässt. Diesen Aspekt ihrer Kunst pflegt Courvoisier genauso liebevoll wie die Stücke selbst. Mit Lonelyville hat Sylvie Courvoisier den Horizont erreicht, den sie erstmals 2004 erspähte und 2005 voll im Visier hatte. Kein Zweifel, dass sie den nächsten schon gesichtet hat und an einem neuen Konzept arbeitet, um ihn zu erreichen. (Bill Shoemaker, Übersetzung: Günter Feigel)