Mon Oct. 18, 2010
20:30

Brötzmann / Pliakas / Wertmüller „Full Blast Extended“ (D/CH/USA)

Peter Brötzmann: tenor-, alto saxophone, clarinet, tarogato
Marino Pliakas: bass
Michael Werthmüller: drums
Ken Vandermark:tenor-, soprano saxophone, clarinet
Thomas Heberer: trumpet
Dirk Rothbusch: percussion

Sorry this part has no English translation

Steve Lacy hat einmal Derek Bailey die folgende Anekdote erzählt: So um '59 oder '60 kam Don Cherry zu Besuch, sagte „Also, lass uns spielen“, und er, Lacy, habe darauf geantwortet „Ok, was werden wir spielen? “. Das „Dilemma“ – so nennt es Lacy – jeder improvisierten Musik, zumal des Freejazz, zwischen Wiederholung und Überraschung: Um so häufiger die erste, desto seltener die zweite.
Aber gilt das nicht für jede Kommunikation, in der symbolisch abgegrenzten Ferne einer Konzertsaalbühne, oder im sogenannten Alltag, dem ein Freejazz-Ereignis so fern zu sein scheint wie nur irgendetwas? Vielleicht liegt die Bedeutung des Stils und dieses Albums gerade darin, im Ablauf eines Konzerts das andere Extrem in einer Versuchsanordnung vorzuführen: Eine tonale Aktionskunst, die auf Ereignis, Erstmaligkeit und Präsenz- und Affirmationspflicht ihrer Akteure setzt – das Publikum kann weglaufen, der Kollege in der Regel nicht – und damit nur ihre Wahrnehmung fesseln, sie aber nicht mit Informationsbrocken ködern kann. Die Nähe dieser Kunstform zu Ritualen wird hier deutlich. Peter Brötzmann, Marino Pliakas und Michael Wertmüller lenken und stauen diesen musikalischen Bewusstseinsstrom über die Dauer der fünf namenlosen und ineinander übergehenden Teile des Albums. Brötzmann, Referenzsenior der Freejazzszene, brötzt wie gewohnt, deklamatorisch und multiphonisch, Pliakas und Wertmüller, auch gemeinsam aufgetreten in der Band „Steamboat Switzerland“, sekundieren brachial, mit überkomplexen Rhythmen, hier und da so als durchschnitten Coppolas apokalyptische Rotorenblätter die aufgeheizte Luft. Das Cover zeigt eine Druckgraphik des Bildkünstlers Brötzmann, dessen Arbeiten man sich als die Schauseite seiner Kompositionen vorstellen mag. Entstanden ist die Aufnahme als Live-Mitschnitt 2006 im Kölner Loft, die Aufnahme, ursprünglich veröffentlicht von Free Music Production, ist von höchster Klangqualität. Stehen Sie gut mit Ihren Nachbarn? (Thomas Götzelt, über die CD „Full Blast“, 2007)
Mit unseren Nachbarn haben wir zumindest seit geraumer Zeit kaum mehr Schwierigkeiten – und daran wird sich vorraussichtlich auch dann nichts ändern, wenn sich die ohnehin schon nicht gerade als leise zu bezeichnende Formation „Full Blast“ mit weiteren quasi amtsbekannten „Krawallos“ umgibt. Um keine Probleme mit dem anwesenden Publikum zu bekommen, empfehle ich die Mitnahme und Verwendung sog. „Oropax“, die an der Kassa aufliegen werden. Nur zur Klarstellung: Vielmehr als ca. 110 Dezibel schafft kaum eine Band und laut Referenzliste unseres Dezibelmeters wäre dies nur um 10db mehr, als im Innenraum der U-Bahn in NY herrscht bzw. um 10 db weniger, als ein normales Verkehrsflugzeug beim Start verursacht. Es gibt übrigens irgendwo in Skandinavien einen Jazzclub, der die Lautstärke einer Band in „Brötz“ misst. Also da werden wir wohl das Maximum von 10 erreichen… (P)orgiastisch! CH