Thu Oct. 27, 2011
20:30

Harriet Tubman Double Trio plays John Coltrane's Ascension (USA)

Brandon Ross: guitars
Melvin Gibbs: bass
JT Lewis: drums
Graham Haynes: cornet
DJ Logic, Val Inc.: turntables

Sorry this part has no English translation

Ekstatische Himmelfahrt, die Jam-Session als Erlösung, das Gruppenexperiment als Heilsversprechen: Ende Juni 1965 erweiterte John Coltrane sein Quartett um sieben Musiker. Neben seinen beiden Protegés Pharoah Sanders und Archie Shepp waren jetzt noch die Saxophonisten John Tchicai und Marion Brown, die Trompeter Freddie Hubbard und Dewey Johnson und als zweiter Bassist Art Davis für eine Plattenaufnahme im Studio. Vermutlich als Ergebnis von Jam-Sessions im New Yorker Club „Half Note“ hatte Trane zu dieser Besetzung gefunden, die sich mehr oder weniger ‚frei‘ durch eine Reihe von Coltrane angedeuteter, ineinander laufender Skalen arbeitet – ausgehend von einem simplen melodischen Leitmotiv, das als strukturbildendes Element die Folge der Soli voneinander abgrenzt. Immer wieder bricht Kakophonie in das improvisatorische Geschehen ein, doch dann lichtet sich das Klang-Chaos und Passagen voller Poesie werden für Momente hörbar, nur um alsbald wieder in wilder Kollektivimprovisation zu versinken.
Ein Auf-und-Ab von Energiewellen: Die tumultös verlaufene Aufnahmesession von “Ascension“ hat neben ihrer musikalischen eine musiksoziologische Bedeutung: Das Kollektiv ist alles, der Einzelne erfährt sich erst in den Reibungen und Konflikten mit der Gemeinschaft. Der Begriff der Jazzband wird neu definiert, sie huldigt jetzt einem radikal-demokratischen Ideal. Nach dieser intuitiven, vor Kraft berstenden Musik schien alles möglich zu sein – Ornette Colemans „Free Jazz“ wirkt noch heute im Vergleich zu „Ascension“ wie eine Schönschrift-Übung: Ordnung entsteht danach nicht länger aus vornotierten Themen, sondern allein aus sich selbst organisierenden, chaotischen Klangzuständen. So wie es für Coltrane ein Wendepunkt war, kann „Ascension“ als Keimzelle aller nachfolgenden Free-Jazz-Entwicklungen begriffen werden: Kategorien wie „Verdichtung“, „Intensität“, „Struktur“, „Sound-Organisation“ oder „Spannungsbögen“ zählten plötzlich mehr als Virtuosität und klangliche Schönheit.
Obwohl das weltanschaulich aufgeladene „Ascension“-Experiment in seinem „grandiosen Scheitern“ – wie manche meinen – stärker als alle anderen Coltrane-Platten dem damaligen Zeitgeist verhaftet bleibt, hat sich jetzt das Doppel-Trio „Harriet Tubman“ an dieses aufregende Stück Jazzgeschichte gewagt: 1989 von dem Schlagzeuger J.T. Lewis, dem Gitarristen Brandon Ross und dem Bassisten Melvin Gibbs gegründet, versucht das Kollektiv gar nicht erst, „Ascension“ mit akustischen Original-Instrumenten zu reformulieren. Wo einst Saxophonschreie und nadelspitze Trompetentöne beim Hörer eine Art Katharsis erzeugen wollten, setzen Turntable-Virtuosen wie DJ Logic oder Val Inc. mit ihren Geräusch-Clustern an. Die elektronisch verfremdete Gitarre von Brandon Ross spannt den Bogen von der spirituellen Mississippi-Delta-Mystik bis in aktuelle Techno-Zonen. Graham Haynes am Kornett suggeriert Erdenschwere, nur um alsbald in hymnische Höhen abzuheben. Man könnte das Konzept der geschichtsbewussten Band – ihr Name verdankt sich der legendären Anti-Sklaverei-Kämpferin Harriet Tubman – als „Sound-Guerilla“ umschreiben, die mit strategischem Kalkül historisches Material in eine zukünftige Energieform transformiert. Vielleicht gilt auch für ihr „Ascension“-Update in ein paar Dekaden, was Coltranes Produzent Bob Thiele schon 1965 prophezeite: Als Alan Bergman, der Rechtsberater von „Impulse!“, die Anpressung von Tranes „Ascension“ zum ersten Mal hörte – länger als fünf Minuten hielt er nicht durch – stürmte er sofort erzürnt ins Büro von Thiele: „Ich sehe mich noch, wie ich ihm die Platte vorwurfsvoll hin halte und er sagt ganz cool: ‚Ich weiß, ich weiß, das Ding wird ein Klassiker!‘“. (Pressetext)