Fri Nov. 4, 2011
23:30
Universal presents

Ingrid Lukas „Silver Secrets" (EST/CH)

Ingrid Lukas: vocals
Céline-Giulia Voser: cello
Michel Gsell: vocals, violin, bass
Patrik Zosso: drums

Sorry this part has no English translation

«We Need to Repeat» hiess das (bei Ronin Rhythm Records erschienene) Debüt von Ingrid Lukas. In ironischem Widerspruch dazu ist das neue Album der estnischen Musikerin, Sängerin und Komponistin, die seit Jahren in der Schweiz lebt, alles andere als eine Wiederholung: An die Stelle des bewusst minimalistischen Konzepts tritt mit SILVER SECRETS ein vielschichtiges Werk mit üppigeren Arrangements und gefühlvollen Songs – eine abwechslungsreiche Fülle an Klängen, Stilen und Gefühlen. Vergleiche mit Künstlerinnen wie Tori Amos, Björk, Regina Spektor und Joanna Newsom drängen sich auf, doch sie erzählen nur die halbe Geschichte: Ingrid Lukas hat eigene Vorstellungen, eine eigene Haltung und einen eigenständigen Sound. Sie schöpft ihre Inspiration aus verschiedenen Quellen – besonders wichtig ist die Gesangstradition ihrer Heimat Estland – und hat auf ihrem künstlerischen Weg zu einer unverwechselbaren Ausdrucksweise gefunden. Ihre musikalische Sprache ist überraschend und bleibt dennoch zugänglich. Sie bewegt sich anmutig und selbstsicher zwischen intimen Singer-Songwriter-Stücken und gefühlvollem Post– Rock, wie man ihn etwa von Sigur Rós oder Sweet Billy Pilgrim kennt.
Der norwegische Komponist, Pianist und Produzent Bugge Wesseltoft, der an der Entstehung des neuen Albums beteiligt war, sagt über Ingrid Lukas und Silver Secrets: «Ingrid Lukas gelingt es, eine einzigartige und persönliche Atmosphäre zu schaffen. Zusammen mit ihrer ausserordentlich klaren Stimme und ausdrucksstarken, tiefgründigen Texten macht sie dies zu einer der meistversprechenden jungen Sängerinnen Europas.» Produziert wurde das Album von Valgeir Sigurdsson, der für den Sound vieler Björk-Alben verantwortlich ist. Auch Bands wie Múm, The Magic Numbers, Coco Rosie und vielen andere wurden von ihm produziert. Mit seiner Handschrift bringt er auch die feinsten Nuancen des Albums zur Geltung und verleiht ihm einen meisterhaften Schliff.
Das Album eröffnet mit Blue Black White, einem eindrücklichen Bekenntnis, das kindliche Unschuld dem Sich-Zurechtfinden in einer verwirrenden modernen Welt gegenüberstellt. Eingebettet ist es in eine Musik, die sich zu beinahe hymnischen Höhen aufschwingt, zugunsten ungekünstelter Ausgelassenheit jedoch auf Bombast verzichtet.
Eine ähnliche Paarung des Kindlichen mit den bitteren Einsichten des Erwachsenwerdens schildert Unexpected, wobei der Ansatz hier ein völlig anderer ist. Der Song verkündet eines der prägenden Themen des Albums: Mach, was du willst, aber mach es richtig. Zu voller Entfaltung kommt dieses Lebensgefühl im anschliessenden Do WhateverYou Do (But Do It Right): Es gipfelt in einem ungestümen Refrain voller ansteckender positiver Energie.
Der Titelsong Silver Secrets nimmt einen mit auf eine wunderschöne melodische Reise voller Sehnsucht, die gestillt wird – und die doch nach mehr verlangen lässt. Veripunane ist ein estnisches Revolutionslied («veripunane» bedeutet blutrot), erzählt aus der Sicht einer jungen Frau, die ihren Verlobten auf dem Schlachtfeld verloren hat. Ein kraftvolles Lied, das Ingrid Lukas kammermusikalisch intim bearbeitet hat, ohne es seiner wortgewaltigen Eindringlichkeit zu berauben.
Paper Boat, ein hinreissend einfaches Lied, betrachtet nochmals kindliche Unschuld von der Warte des Erwachsenen aus; es ist eine grossartige Interpretation des Originals der französischen Band Cocoon.
Running zeigt erneut Ingrid Lukas' Fähigkeit, sich leichtfüssig von nahezu epischen Motiven zu persönlichen Momenten bewegen zu können. Dabei beweist sie, dass das musikalische Verarbeiten persönlicher Erfahrungen nicht notwendigerweise von Furcht und Grübelei geprägt sein muss. Der Song ist erhebend, ohne zu missionieren. Er markiert den vielleicht leichtesten Moment des Albums, wobei auch hier die Einfachheit der Musik nicht über die Komplexität des Texts hinwegtäuschen sollte; er erforscht die unbedingte Präsenz der Hoffnung auch in den dunkelsten Momenten.
Laula ist randvoll mit scheinbaren Widersprüchen. «Sing» heisst der Name übersetzt, im Zentrum des Lieds steht aber der Tod. Dieser wiederum bietet nicht Anlass zu Melancholie, sondern wird dargestellt als der einzige Grund, mit freudigem Singen aufzuhören.