Sun Jan. 22, 2012
20:30

John Abercrombie & Mark Copland „Speak to me“ (USA)

John Abercrombie: guitar
Mark Copland: piano

Sorry this part has no English translation

Welch ein Album! Hier erlebt man ein Höchstmaß an Intimität. An Entspanntheit. An erhabener Ruhe. Zwei, die einander so gut verstehen, dass sie ganz leise und unaufgeregt miteinander sprechen können. Dass sie keinen rhetorischen Aufwand betreiben müssen, um andere zu beeindrucken. Sie können einfach die Gedanken laufen lassen – wie kleine Bälle, die man sanft über einen Tisch rollt, damit sie der andere behutsam aufnehmen und zurückrollen kann. Eine Kommunikation abseits jedes Präsentations-Eifers. Keine Gimmicks, keine Großsprecherei. Gedanken, die kein Power Point nötig haben, weil sie für sich stark genug sind.

Und auf allerhöchstem Niveau sowieso. Speak to Me haben Pianist Marc Copland und Gitarrist John Abercrombie diese gemeinsame CD genannt – und der Titel beschreibt genau, was hier passiert. Zwei Musiker sprechen zueinander und laden das Publikum ein, sich dazu zu setzen und in aller Ruhe zu lauschen: auf viele spannende Zwischen- und Untertöne, die hier dichte und vielschichtige Stimmungen entstehen lassen.

Es ist ein Duo mit ganz langer gemeinsamer Erfahrung – und doch ist diese CD eine Premiere! Viele gemeinsame Aufnahmen gibt es von Marc Copland und John Abercrombie, aber nicht auf CD in der pursten Form der Begegnung. Es ist ein spannendes Duo, eines, das hohe Erwartungen weckt. Und dies aus unterschiedlichen Gründen. Der eine: Die bisher letzte Veröffentlichung bei Pirouet Records, in der die beiden aufeinandertrafen, erhielt international ein großes Echo. Es war die Quintett-CD Five on One von 2010, auf der Copland und Abercrombie mit Saxophonist Dave Liebman, Bassist Drew Gress und Schlagzeuger Billy Hart zusammenspielen. “Ein Ereignis!”, befand der NDR, die Zeitschrift Stereoplay lobte den “raffinierten kammermusikalischen Jazz der Extraklasse”, andere hörten hier “Musik für den Jazz-Olymp”, in der “jede Nuance” stimme. Nur die “allerbesten” Musiker spielten so homogen, erfuhr man da auch – und deshalb bekam diese CD auch sehr viele Sterne von Medien in den USA und in Europa – vier von “Downbeat”, fünf in “Rondo” und “Audio” (Deutschland) oder auch in “Musicboom” (Italien). Nicht zuletzt die feinen harmonischen Verschränkungen der Klavier- und der Gitarrenstimmen fielen bei Five on One besonders auf. Und das führt zu einem weiteren Grund, weshalb dieses Duo hohe Erwartungen weckt: Abercrombie und Copland kennen einander seit vier Jahrzehnten. Seit den frühen Siebzigern haben sie immer wieder miteinander Musik gemacht.

Das schlug sich unter anderem in einer Aufnahme nieder, die heute zu den raren LP-Sammlerstücken der Jazzwelt gehört: Friends, eine Electric-Jazz-Platte von 1972. Damals spielte Marc Copland noch elektrifiziertes Altsaxophon (und firmierte unter seinem Geburtsnamen Marc Cohen). Als Copland (geboren 1948) einige Jahre früher gerade aus Philadelphia nach New York City gekommen war, um an der Columbia University zu studieren, waren die beiden einander begegnet. John Abercrombie, geboren 1944, der in den Sechzigern an der Berklee School of Music in Boston studiert hatte, war bereits einer der begehrtesten Session-Musiker New Yorks. In der Band des Schlagzeugers Chico Hamilton spielten Copland und Abercrombie damals zusammen – und knüpften eine Verbindung, die noch immer anhält. Seit 1988 sind beide, mit Copland nunmehr am Klavier, auf verschiedensten CDs in unterschiedlichen Besetzungen zu hören. Eine aus dem betreffenden Jahr nennt zumindest Copland selbst als “vermutlich erste gemeinsame Aufnahme”. Daneben haben diese beiden Musiker immer wieder Duo-Konzerte miteinander gegeben und wurden dafür unter anderem von der “Washington Post” gefeiert als “elegant und erdverbunden zugleich”. Und hier nun erlebt man dieses große Duo endlich auf CD.

Neun Stücke enthält sie, zwei davon sind Standards, eines ist eine Komposition der Free-Jazz-Ikone Ornette Coleman (das hier kunstvoll scheinbar aus Fragmenten heraus wachsende Stück Blues Connotation), und der Löwen-Anteil sind Eigenkompositionen. Vom ersten Stück an stellt sich die besondere atmosphärische Intensität dieses Duos her. Beide Musiker sind Meister der Farbgebung. Copland tut das mit seinen schillernden Akkorden, die stets eine gläsern feine Mehrdeutigkeit haben und eine Klangwelt schaffen, die zugleich immens klar und verschattet ist. Und Abercrombie holt einen ganz eigenen Farbton aus seiner (bis auf wenige Ausnahme-Momente) nur ganz sanft elektrisch verstärkten Gitarre, die manchmal beinahe wie ein Flüstern klingt – und im leisen Ton eine bemerkenswerte Spannung des Ausdrucks findet. Schon vom Sound her ergeben die beiden eine verblüffende Symbiose. Zwei Feintöner, deren Spiel sich höchst reizvoll überlagert und ergänzt.

Die Stücke tun ein Übriges. Denn auch im Kompositorischen sind Copland und Abercrombie ganz offenbar Brüder im Geiste. Abercrombie zeigt in Kompositionen wie Seven und Left Behind, dass er eine besondere Gabe im Fortspinnen melodischer Fäden hat: Aus kleinen Motiven entstehen Gebilde von berückender Schönheit, die stets einen ganz eigenen Zauber entfalten, weil sie harmonisch und melodisch immer wieder unerwartete Wege gehen. Auf subtile Art lyrisch sind diese Stücke, sie haben höchst eingängige Momente und entziehen sich dann aber auch wieder der allzu leichten Memorierbarkeit: Kleine, flüchtige Klangskulpturen.

In Coplands eigenen Stücken gibt es ganz ähnliche Phänomene: Oft gibt es, wie im Titelstück Speak to Me, zupackende Begleitmotive und ein leicht fassbares Thema, das sich aber durch Coplands unorthodoxe Harmonik sogleich wieder dem Eindruck des Griffig-Ohrwurmhaften entzieht. Und auch hier ergibt sich – gerade durch die Harmonien – ein Charakter von Flüchtigkeit und edler Momenthaftigkeit. Der wiederum verstärkt sich noch in Copland-Stücken wie Falling Again und Talking Blues: Gebilde, die eine ganz eigene Schönheit durch sanfte Verfremdung scheinbar vertrauter Motive erhalten.

Wunderbar organisch wirkt das musikalische Zusammentreffen dieser beiden Großmeister des zeitgenössischen Jazz. Fast ist es manchmal, als würden die Musiker sich behutsam in einander spiegeln – so dass jeder immer wieder Züge des anderen übernimmt, aber die Silhouette doch immer klar erkennbar die jeweils eigene bleibt. Besonders spannend bei so profilierten Musikern und Jazzkomponisten wird es, wenn dann doch Standards im Repertoire auftauchen.

Hier sind es die Ballade If I Should Lose You und der einst von Frank Sinatra effektvoll interpretierte Song Witchcraft. Gar nicht weit weg von der Eigen-Atmosphäre des jeweiligen Stücks ist hier die Interpretation: ganz entspannte Standard-Kunst. Doch es fällt auf, wie tief diese beiden Musiker hier in die spezifische Atmosphäre des jeweiligen Standards eintauchen. So intensiv wurde selten die Stimmung von Songs in Instrumentalversionen wiedergegeben. Und dies mit wiederum ganz eigenem Sound. Bei Witchcraft verblüfft dann noch der spannende Effekt, dass die Engführung von Klavier- und Gitarrenstimmen den Eindruck entstehen lässt, hier wäre ein Vibraphon zu hören.

Künstler der Verwandlung und der Anverwandlung sind diese Musiker – und sie wirken hier in einer Weise zusammen, wie nur sie es können. Feine, ruhige Kommunikation mit enorm prägnanter Aussage – gewiss nicht nur für langjährige Bewunderer der beiden Musiker ein Jazz-Ereignis. (Pressetext)