Mon Jan. 2, 2012
19:00
Lost & Found

Tun Sie etwas!

Anne Marie Fürthauer liest Imre Kertész: Galeerentagebuch (1963-1991)
Martin Stepanik: piano, electronic wirement
Max Mayerhofer: guitar, electronic devices
Renald Deppe: reeds, sound-graphein

Sorry this part has no English translation

Rede des ungarischen Dirigenten Ivan Fischer 2011 zum 9. November (Reichspogromnacht 1938):

(...) „Ich richte meine Worte deshalb an die Verantwortlichen in Europa: Schauen Sie sich das Donauufer in Budapest an. Sehen Sie diese zurückgelassenen Schuhe?* Und sehen Sie die Fahnen der Pfeilkreuzler, die erneut geschwenkt werden? Sehen Sie, wie Uniformierte in Dörfern marschieren und den Roma Angst einjagen? Lesen Sie die Hetzartikel? Sehen Sie die ultranationalistischen, fremdenfeindlichen und antiziganistischen Bewegungen, die europaweit zunehmen? Dann bitte ich Sie, endlich zu begreifen, dass in Europa nicht in erster Linie der Euro in Gefahr ist, sondern die Toleranz. Tun Sie etwas! Grenzen Sie sich von denen ab, die sich mit den Hetzern Kompromisse schließen und erschaffen Sie obligatorische Normen, die die Freiheit der BürgerInnen Europas garantieren!“ (...)

*Die «zurückgelassenen Schuhe» beziehen sich auf ein Denkmal von Gyula Pauer und Can Togay (2005) am Budapester Donauufer: Ein Mahnmal anlässlich der Pogrome an jene Juden, welche 1944 und 1945 von den Pfeilkreuzlern (Partei der ungarischen Nationalsozialisten) am Donauufer zusammengetrieben und erschossen wurden.

Tun Sie etwas: Jeden ersten Montag im Monat widmet "Lost & Found" jenen Anfängen, denen es stets zu wehren gilt.
Gedacht wird an die vielen gewaltsamen Ausgrenzungen all jener selbsternannten (und manchmal auch mehrheitlich gewählten) Sitten-, Rassen-, Heimat- und Leistungswächter.
Eingemahnt werden die schändlichen Vertreibungsstrategien all jener unheiligen Gralshüter, welche durch blutige Reinhaltungshysterien die von ihnen und ihresgleichen beanspruchten vermeintlichen Paradiese wertkonservieren wollen.

Der Faschist: Nach Alberto Savinio ein moralisch, geistig und beinahe physisch negativer Mensch, dessen Negativität sich in Feindschaft, Hass und Zerstörungswillen gegen alles, was positiv ist, äußert.
Mit diesen Eigenschaften nähert sich der Faschist dem Verbrecher und stellt schließlich zusammen mit dem Verbrecher ein und denselben menschlichen Typus dar. Der Unterschied zwischen Faschist und Verbrecher liegt einzig darin, dass der Verbrecher oftmals isoliert und einsam ist - während der Faschist ein kollektiver und sozialer Verbrecher ist. Der isolierte Faschist verliert seine Eigenschaften als Faschist, seine Kraft als Faschist »verdunstet«, er wird scheinbar ein unschädlicher - ein beliebiger - Mensch.
Man muss diese geheime Bedeutung des fascio, des Rutenbündels, aufdecken, nämlich als Symbol für die Einheit, die nötig ist, damit die faschistische Kriminalität wirksam werden kann.

„Der Trauernde siegt.“ Vielleicht hilft gerade diese von Laozi beschworene Ein-, Um-, Weit- und Weltsicht: Durch mahnendes Eingedenken der sinnlosen Aggression und Gewalt faschistoider Gemeinsamkeiten ein (frühzeitiges) Ende zu bereiten.
Tun Sie etwas! Zum Beispiel trauern. Jeden ersten MonatsMontag im Porgy & Bess.

Herzlich Willkommen: Renald Deppe.

P.S.:
Aber auch das sollte bitte (nicht nur) jeden ersten MonatsMontag möglich sein: Aus den Aufzeichnungen (1992-1993) eines Elias Canetti:

Bauern im südindischen Karnataka:
»Nach monatelangen fruchtlosen Protesten versammelten sie sich jetzt vor dem Parlamentsgebäude und lachten zwei Stunden lang die Regierung aus. 2000 Polizisten schauten tatenlos zu.«

„Der Soldat wird zum Berufsmörder, die Politik zum Verbrechen, das Kapital zu einem mit Krematorien ausgerüsteten Menschenvernichtungsbetrieb, das Gesetz zur Spielregel für schmutzige Spiele, die Weltfreiheit zum Völkergefängnis, der Antisemitismus zu Auschwitz, das Nationalgefühl zum Genozid. Unser Zeitalter ist das Zeitalter der Wahrheit, ohne jeden Zweifel. Doch als purer Gewohnheit wird weitergelogen, obwohl jeder die Absicht durchschaut; schreien sie: Liebe - weiß jeder, dass die Stunde des Mordens gekommen ist; schreien sie: Gesetz - regieren Diebstahl und Raub.“

Imre Kertész
(*1929 in Budapest, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Ab 1953 lebte Kertész wieder in Budapest, im Jahre 2000 - nach mehrfachen Morddrohungen in Ungarn - verließ Imre Kertész seine Geburtsstadt und übersiedelte in seine Wahlheimat: Berlin)

Eintritt: pay as you wish