Lisa Bassenge: vocals
Christoph Adams: piano
Kai Brückner: guitar
Paul Kleber: bass
Rainer Winsch: drums
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Wie du einen Song findest, ob du ihn richtig schlimm liebst, ob du bloß ab und zu einen wilden Nachmittag mit ihm hast, dich auf ihn freust wie auf einen nächtlichen Komplizen, ihn als alten Klassenkameraden respektierst oder ganz und gar nicht ertragen kannst – das alles hängt auch davon ab, wie er dich findet. Besser: wie er dich gefunden hat. Manche Songs tauchen ja wie von alleine auf. Andere werden einem geschenkt. Vor den Latz geknallt. Angedient. In Verkaufsgesprächen zugeteilt wie ungefahrene Autos. Und die zugehörigen Sängerinnen und Sänger sind oft wie Kellner, die einem ihr Zeug servieren. Oder ein schlechtes Gewissen machen, so tun, als nehme man ihnen etwas weg, beim Zuhören. Anderes Beispiel: Lisa Bassenge, Berlinerin, seit Mitte der 90er-Jahre eine zum Glück unüberhörbare Kraft, ist bisher meistens als Jazzsängerin identifiziert worden – auch da hat man gleich eine Kulturtechnik vor Augen, eine bestimmte Art der Vermittlung: das samtfreundlich Introvertierte, latent Tiefe. Das Geheimnis, das einem nicht damit auf die Nerven geht, unbedingt jetzt gleich gelöst werden zu wollen. An manchen Tagen wohl tatsächlich die weinrote Diva an der Seite des Pianisten, aber in der Regel einfach die gepflegte, goldrichtig parfümierte Sorte von Souveränität. Das neue Album von Lisa Bassenge ist nun da, es heißt „Wolke 8“ und, jetzt müssen Sie ganz stark sein: Es ist ihre bisher unhöflichste Platte. Mit Abstand. Nicht nur, weil sie dieses Mal Sachen singt wie „Wär ich Polizistin, wärst du im Knast“ und „Schrei den Menschen auf der Straße deinen Namen in die Fresse“. Sondern weil sie hiermit ganz ernsthaft zum Angriff übergeht. Weil sie mit kurzem, optimal getimeten Anlauf denen ins Gesicht springt, die zwischen Sängern und Hörern – erst recht in den ständig so kunstverdächtigen Genres Jazz, Chanson, Nachtlied – immer noch eine dünne Folie vermuten, das Zellophan des ungestörten Genusses, das einen davor beschützt, dass irgendwer zu nahe kommt. Mit anderen Worten: Auf „Wolke 8“ nimmt sich Lisa Bassenge ihr Publikum so richtig zur Brust. Hier spielt sie wie eine Weltmeisterin, nicht Klavier, dafür hat sie andere Leute, sondern einige der ganz großen Rollen der Popliteratur. Die Provokateurin, die Twisterella, die Bitterkluge und Biestige. Die Nachdenkliche auf den Dächern, bei der man nie weiß, ob sie gleich rauf zum Mond oder runter in die Bremslichter springen will (auch sie weiß das nicht immer). Und die Geschichtenerzählerin, die unterm Apfelbaum sitzend beobachtet, wie komisch die Welt sich verfärbt, wenn die Liebe geht. Elf Gesichter, elf Songs, die einen auf elf verschiedene Arten finden. Einigen von ihnen muss man auch erst ein bisschen hinterherlaufen. Weil sie zu schnell sind. „Wolke 8“ ist nicht nur Lisa Bassenges bisher unhöflichste Platte, es ist auch ihre beste.
Ein großer Schritt vom letzten Album, „Nur fort“, das im Januar 2011 erschien, bravouröse Kritiken bekam, von Fans und Noch-Nicht-Fans so geliebt wurde, dass es dafür den goldenen Jazz- Award gab. Einiges von damals zieht sich durch zum neuen Werk: Natürlich ist auch auf „Wolke 8“ wieder Bassist Paul Kleber dabei, Lisas musikalischer Partner, Mitkomponist und Arrangeur seit Menschengedenken, ebenso die Gangmitglieder Christoph Adams (Piano), Kai Brückner (Gitarre) und Rainer Winch (Schlagzeug). Produziert haben Paul und Lisa, auch Boris Meinhold hat wieder geholfen, Lisas Kompagnon vom Projekt Micatone. Die Sessions, bei denen im Berliner AudioCue-Studio die Grundtracks aufgenommen wurden, dauerten gerade mal drei Tage. Echte, raureife Jazzer verheddern sich da nicht groß.
Aber wenn es auf „Wolke 8“ eine neue Personalie gibt, auf die man aufmerksam machen muss, dann ist es der Text-Coautor: Thomas Melle, erst kürzlich von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ in die Reihe der 20 aufregendsten deutschen Schriftsteller unter 40 gewählt, aber auch ohne solche Listenpräsenz einer der großartigsten Stückeschreiber der Theatergegenwart, Autor des krank und grell glänzenden Debütromans „Sickster“. Die Texte aller acht neuen Kompositionen auf „Wolke 8“ (dazu kommen zwei Coverversionen und ein älteres Stück von Lisas Gruppe Nylon) haben Lisa Bassenge und Thomas Melle im Team verfasst, Inspirationen, Lieblingswörter und Plot-Twists gemischt. Und so eine Poplyrik geschaffen, wie man sie in Deutschland noch nicht gehört hat, grenzenlos kräftig. Die alles zu können scheint, Lieder tragen, auf Wände und in Handflächen geschrieben werden, die Hitradios erobern, einem den Kopf zerhämmern, Dinge klarmachen, die eigentlich gar nichts mit Sprache zu tun haben, aber nur fassbar sind, wenn einer die richtigen Worte findet. Oder zwei. Wer aus diesen Liebesliedern nichts lernt, verwechselt die Liebe vielleicht mit irgendwas völlig anderem.
„Ich bewege mich von Platte zu Platte mehr zu mir selbst hin“, sagt Lisa Bassenge über „Wolke 8“, ihr insgesamt drittes Soloalbum unter eigenem Namen, nicht gerechnet die jeweils drei Platten mit dem 1995 gegründeten Lisa Bassenge Trio und mit Nylon sowie den vieren mit Micatone. „Bei jeder Platte denke ich: Das bin jetzt noch mehr ich als je zuvor.“ Und so ist es ja fast schon logisch, dass – nach „Nur fort“, der Songsammlung übers Weggehen – „Wolke 8“ offenbar eine Platte übers Ankommen geworden ist. Nur mal als grober Tipp und ohne Details. So kann man ja auch den Titel verstehen: Wer vom Glück berauscht ist, sucht sich gern eine sichere Bleibe in der Nachbarschaft. Vorübergehend zumindest. Von den Ringkämpfen, knallharten Selbstbefragungen, Flirtprovokationen, und Rundgängen durch emotionale Korridore, die eher mies beleuchtet sind, gibt es auf diesem Album noch genug zu hören. Im Swing-Punk „Lass die Schweinehunde heulen“, dem Prêt-à-porter - Chanson „Dernier Cri“, dem von Dunst durchzogenen Resümee „Nach dem Glück“, dem Auf-dem-Tisch-Tanz „Dummes Herz“ und den vielen anderen, unverwechselbaren, umwerfenden Stücken. Ohne zum Schluss noch irgendjemanden nutzlos verunglimpfen zu wollen: Das Angebot an selbsterklärt authentischen, singenden, songschreibenden jungen Frauen ist in der deutschen Musikszene durchaus groß. Und ausreichend. Was für eine herausragende Neuerscheinung „Wolke 8“ trotzdem (oder gerade deshalb!) ist, hat natürlich auch damit zu tun, dass Lisa Bassenge schon vorher eine der mit Abstand besten und aufregendsten Stimmen war. Dass sich das Album, das ihr und ihren Jungs hier gelungen ist, so abwechslungsreich und abgrundtief anhört, so zupackend und feinmotorisch, literarisch und live, bedeutungsschwanger und neugeboren, wie es nur die allerbesten Popplatten tun – das ist die Nachricht. Das Geständnis. Die Parole. Das sagen die Songs, während sie einem an den Ohren ziehen. Im Abspann vom „Schweinehunde“-Lied hört man sogar, wie einer „Rock’n’Roll!“ brüllt. Das ist zwar dann doch ein klein bisschen übertrieben. Aber genau die Richtung. (Pressetext)